394 Buch IV. Das Recht der Urkunden.
Rechts nachgewiesen wird; andrerseits kann der Nichtinhaber, auch wenn ihm
das Recht der Verfügung über die Urkunde zusteht, sein Gläubigerrecht der
Regel nach nicht geltend machen, sondern muß zunächst versuchen, sich die
fehlende Inhabung nachträglich zu verschaffen (s. 793 1 Satz 1, 797). Außer-
dem kommt aber der Inhabung noch eine dritte nicht minder wichtige Bedeu-
tung zu: hat jemand, dem ein Recht zur Verfügung über eine Inhaberschuld-
verschreibung nachweislich fehlt, sie dennoch tatsächlich in seiner Inhabung, so
ist der Schuldner zwar nicht verpflichtet, wohl aber berechtigt, die geschuldete
Leistung an ihn, den rechtlosen Inhaber und Nichtgläubiger, aus freien Stücken
zu bewirken, und wird, wenn er von diesem Recht Gebrauch macht, auch gegen-
über dem wahren Gläubiger befreit (793 1 Satz 2). Hierbei verbleibt es —
obschon die herrschende Meinung das Gegenteil lehrt — auch dann, wenn
der Schuldner weiß, daß dem Inhaber das Verfügungsrecht fehlt; doch kann
der wahre Gläubiger, wenn das Verhalten des Schuldners nach Lage des
Falls ein arglistiges war, allgemeiner Regel gemäß von ihm Schadensersatz
fordern (s. 826). Nur ein andrer Ausdruck für die vorstehenden Sätze ist
folgende Formel: der Inhaber einer Inhaberschuldverschreibung ist zwar als
solcher nicht notwendig Gläubiger aus der Urkunde; er wird aber, bis der
Gegenbeweis erbracht ist, als Gläubiger vermutet und, wenn der Schuldner
freiwillig an ihn erfüllt, zugunsten des Schuldners sogar unter Ausschluß des
Gegenbeweises als Gläubiger fingiert.
Beispiele. I. A. klagt aus einer von B. ausgestellten Inhaberschuldverschreibung auf
Zahlung; in der Klage erzählt er, daß die Urkunde dem C. gehöre und ihm von diesem zur
Aufbewahrung übergeben sei. Hier ist A.S Klage zunächst begründet; denn daraus, daß A.
Verwahrer der Urkunde eines andern ist, folgt noch nicht, daß er nicht neben den gewöhn-
lichen Verwahrerrechten von dem Eigentümer auch die Ermächtigung erhalten hat, die For-
derung aus der Urkunde im eignen Namen einzuziehn. Dagegen ist die Klage abzuweisen,
wenn A. zugibt oder wenn ihm von B. nachgewiesen wird, daß C. ihm die Urkunde „nur“
zur Verwahrung gegeben habe. II. 1. Der volljährige D. in M. hat aus dem Schreibtisch
seines Vaters, während dieser auf der Reise ist, eigenmächtig die fälligen Zinsscheine einiger
Inhaberschuldverschreibungen der Stadt M. genommen und legt sie dem Stadtrendanten E.
in M. zur Zahlung vor; E. kennt die Familienverhältnisse des D. genau und fragt deshalb
den D., wie er zu den Zinsscheinen gekommen sei, worauf D., durch die Frage überrascht,
die Wahrheit eingesteht. Hier braucht E. an den Inhaber D. nicht zu zahlen. Er kann
aber auch, wenn er will, die Zahlung ruhig leisten, indem er es dem D. überläßt, sich mit
seinem Vater auseinanderzusetzen; der Vater hat alsdann wegen der Zinsscheine keine An-
sprüche gegen die Stadt. 2. Derselbe Fall; nur hat D. in seiner Überraschung dem E.
außerdem eingestanden, daß er den Erlös der Zinsscheine nicht an den Vater abliefern,
sondern für sich verwenden wolle; E. leistet trotzdem die Zahlung, weil er mit D.s Vater
verfeindet ist. Hier hat der Vater gegen die Stadt einen Deliktsanspruch auf Schadensersatz
(826, 33).
Dafür, daß der Aussteller durch eine Leistung an den unbefugten Inhaber auch dann
befreit wird, wenn er dessen Rechtsmangel kennt, spricht außer dem Wortlaut des Gesetzes
die Erwägung, daß der Aussteller, wenn der unbefugte Inhaber ihn auf die Leistung ver-
llagi. ihm den Rechtsmangel nachweisen müßte; und daraus, daß er den Rechtsmangel kennt,
9 Crome 2 § 31127; Barth, Zahlung des Wechsels an einen unbef. Inhaber (Diss. 10).