§ 293. Verein und Stiftung. 487
wenigstens seiner Anlage nach — eine Mehrheit von „Mitgliedern“ besitzt
und eines seiner notwendigen Organe in der Versammlung dieser Mitglieder
besteht, zweitens daß eben dieses Organ nicht etwa dem Verein „dient", sondern
umgekehrt den Verein „beherrscht". Die Mitgliederversammlung hat keine
Pflichten gegen den Verein: ihre Beschlüsse über die Schicksale des Vereins
faßt sie nicht nach pflichtmäßigem Ermessen, sondern mit souveräner Willkür.
6) Für die rechtsfähige Stiftung ist charakteristisch erstlich, daß sie keine
„Mitglieder“ und also auch keine Mitgliederversammlung hat, zweitens, daß
sie auch ein andres herrschendes über ihre Geschicke souverän entscheidendes
Organ nicht besitzt. Beherrscht wird die Stiftung vielmehr durch eine Gewalt,
die außerhalb des Stiftungsorganismus steht, durch den Stifter und den Staat.
Beispiele. I. Zwanzig Damen bilden einen Verein zur Bekämpfung des Alkoholismus.
Hier „herrscht“ im Verein die Mitgliederversammlung souverän, indem sie die Vereins-
tätigkeit durch Satzungsänderung z. B. auf die Judenmission ausdehnt und, als die Vor-
sitzende bei ihrem Jubiläum keinen Orden bekommt, den Verein plötzlich auflöst. II. Jemand
hat eine Stiftung für katholische Gesellenvereine gemacht und den jeweiligen Pfarrer zu
Sankt Martin zum Vorstande der Stiftung bestellt. Hier fehlt ein herrschendes Organ ganz.
Der Pfarrer hat nur auszuführen, was in der Stiftungsurkunde angeordnet ist; bekommt
auch er den erhofften Orden nicht, so kann er wohl seine Vorstandsstellung niederlegen, darf
aber nicht die Stiftung auflösen (vgl. aber unten S. 524 / am Ende).
Selbstverständlich kann der Gegensatz zwischen Verein und Stiftung dadurch abgeschwächt
werden, daß im Einzelfall bei einem Verein die Machtvollkommenheit der Mitgliedergesamt-
heit satzungsmäßig sehr beschränkt, bei einer Stiftung die Machtvollkommenheit des Stiftungs-
vorstandes sehr erweitert wird. Auf diese Weise kann es geschehn, daß Verein und Stiftung
sich nur durch den Namen unterscheiden. Ja es ist sogar möglich, daß eine Anstalt,
die den Namen Stistung trägt, ihrem wahren Wesen nach Verein ist und umgekehrt (s. unten
S. 526 I ).
T) Unter den rechtsfähigen Vereinen des Privatrechts unterscheiden wir
endlich eingetragene Vereine, rechtsfähige nicht eingetragene
Vereine auf der Grundlage des bürgerlichen Gesetzbuchs,
rechtsfähige auf Sondergesetzen beruhende Vereine; ebenso
unterscheiden wir unter den rechtsfähigen Stiftungen des Privatrechts die
gewöhnlichen Stiftungen und die Familienstiftungen des preu-
ßischen Rechts. Was diese Unterscheidungen zu bedeuten haben, wird erst
später zu zeigen sein.
II. Hauptquelle des Rechts der juristischen Personen ist das erste Buch
des bürgerlichen Gesetzbuchs, Abschnitt I, Titel 2. Daneben kommen aber
zahlreiche andre durch das ganze bürgerliche Gesetzbuch zerstreute Bestimmungen
(1061, 2101 II usw.), ferner das Reichsgesetz über die Angelegenheiten der
freiwilligen Gerichtsbarkeit („R. FG.“) vom 20. Mai 1898, das Handelsgesetzbuch,
das Reichsvereinsgesetz vom 19. April 1908 sowie viele Sondergesetze in
Betracht.