544 Buch VII. Abschnitt 2. Das Eherecht.
selbst im Fall einer arglistigen Täuschung nicht jeder Irrtum, der einen Gatten zur Ein-
gehung der Ehe bestimmt hat, sondern nur ein Irrtum über Umstände, die das Wesen der
Ehe ausmachen, erheblich ist. Beispiel: jemand kann von seiner Geliebten nicht lassen, ob-
schon er ihren Leichtsinn und ihre Verlogenheit kennt; schließlich spielt das Mädchen ihren
Haupttrumpf aus, indem sie sich für das uneheliche Kind eines Prinzen ausgibt; bestimmt
sie hierdurch ihren Liebhaber zu einer Schenkung, so ist dessen Irrtum erheblich; bestimmt
sie ihn zur Heirat, so ist der Irrtum unerheblich.
Beweispflichtig für den Irrtum ist der Gatte, der sich geirrt zu haben behauptet.
XIII. Wie der Abschluß andrer Rechtsgeschäfte, so setzt auch die Eingehung
einer Ehe voraus, daß keiner der Gatten zur Eheschließung widerrechtlich durch
Drohungen gezwungen ist; gleichgültig ist, ob der Zwang von dem andern
Gatten ausging oder ihm wenigstens bekannt war (1335).
XIV. Sonstige Voraussetzungen der Eheschließung gibt es nicht. Ins-
besondre ist es rechtlich gleichgültig, ob ein Gatte durch ein noch fortbestehen-
des Verlöbnis gebunden ist, ob beide Gatten den Eheschließungswillen nur
zum Schein erklären, ob einer der Gatten zu geschlechtlichem Verkehr un-
fähig ist, es sei denn, daß der andre sich hierüber im Irrtum befand und
nicht mit dem gleichen Mangel behaftet war, ob ein Gatte die Ehelosigkeit ge-
lobt hat, usw.
c) Ungültige Ehen.:
§ 315.
Verbinden sich Mann und Weib, indem sie die für die Eheschließung be-
stehenden Vorschriften gar nicht oder nur unvollständig einhalten, so sind die
Rechtsfolgen je nach der Art der nicht eingehaltenen Vorschriften äußerst ver-
schieden: bald ist die Verbindung eine Nicht-Ehe schlechthin, bald gilt sie als
Schein-Ehe, bald ist sie eine anfechtbare, bald endlich eine vollgültige Che.
I. 1. Die Verbindung von Mann und Weib ist eine Nicht-Ehe, wenn
sie den für die Eingehung der Ehe maßgebenden wesentlichen Formvorschriften
nicht entspricht und auch im standesamtlichen Heiratsregister nicht eingetragen
ist (s. 1324 I, 1329 Satz 2).
Beispiele. I. Mann und Weib verbinden sich zur Gemeinschaft des Lebens, ohne dies
dem Standesbeamten zu erklären; hierher gehört die „wilde“ Ehe, deren Eingehung der Mit-
wirkung eines weltlichen oder geistlichen Beamten ganz entbehrt, und die rein kirchliche Ehe,
die nur in Gegenwart eines Geistlichen, nicht aber auch eines Standesbeamten eingegangen
ist. Übrigens ist es den Geistlichen regelmäßig bei Kriminalstrafe verboten, eine Eheschließung
entgegenzunehmen, wenn die Verlobten nicht vorher die standesamtliche Eheschließung vorge-
nommen haben (Res. v. 6. Febr. 1875 § 67; EG. 46 III). II. Die Verbindung wird vor
einem Standesbeamten vorgenommen; der Standesbeamte wird aber während der Zeremonie
ohnmächtig, noch ehe die Braut ihr Jawort abgegeben hat; die Brautleute entfernen sich, im
1) Buhl, Heidelb. Festgabe für Bekker (99); Mitteis, Leipz. Dekanatsprogramm (05);
Zitelmann, in der Festgabe für Bekker (07); Langheineken, Urteilsanspruch S. 244; Thiesing,
Wirkung nichtiger Ehen (07).