§ 315. Anfechtbare Ehen. 549
ginnt also nicht erst mit dem Tage der Anfechtung, geschweige denn mit dem
Tage, an dem die Ehe durch Urteil für nichtig erklärt wird, sondern wirkt
bis auf den Tag der Eheschließung zurück. Doch greifen die Ausnahmen,
die die analoge Regel bei Scheinehen erleidet, auch bei rechtmäßig ange-
fochtenen Ehen Platz (s. 1344 ff., 1699).
Dabei gilt aber die Besonderheit, daß das Recht, bei der Vermögensauseinandersetzung
die Ehe nicht als nichtig, sondern als geschieden zu behandeln, bei der Anfechtung wegen
Zwanges dem anfechtungsberechtigten Gatten, bei der Anfechtung wegen Irrtums dagegen
dem andern Gatten zusteht, es sei denn, daß letzterer den Irrtum bei Eingehung der Ehe
kannte oder kennen mußte (1346, 1704; s. auch 1351).
7. Jede anfechtbare Ehe kann mit rückwirkender Kraft in eine vollgültige
Ehe verwandelt werden. Dies kann in mannigfacher Art geschehn.
a) Ist die Ehe mangels Einwilligung des Gewalthabers eines der Gatten
anfechtbar, so wird sie vollgültig, sobald der Gewalthaber oder auch, wenn
dieser ein Vormund ist, auf Bitten des Gatten das Vormundschaftsgericht die
Einwilligung in die Ehe nachträglich erteilt; ist der Gatte inzwischen un-
beschränkt geschäftsfähig geworden, so fällt dies Einwilligungsrecht von Ge-
walthaber und Gericht fort; dafür kann aber jetzt der Gatte selber die Ehe
gültig machen, indem er sie „bestätigt“ (1337 1). Die Einwilligung sowohl
wie die Bestätigung können formlos, also auch stillschweigend erfolgen; ins-
besondre liegt eine Bestätigung der Ehe darin, daß der anfechtungsberechtigte
Gatte, nachdem er unbeschränkt geschäftsfähig geworden, den ehelichen Verkehr
mit dem andern Gatten vorbehaltlos fortsetzt. Die Einwilligung oder Be-
stätigung ist auch dann zulässig, wenn die Anfechtung der Ehe bereits erklärt
ist; dagegen ist sie unstatthaft, wenn nach erklärter Anfechtung die Ehe für
nichtig erklärt oder aufgelöst ist (1341 I).
Beispiel. Die siebzehnjährige A. hat sich ohne Erlaubnis ihres Gewalthabers B. am
1. März mit C., am 1. April mit D. verheiratet. Hier kann B. der ersten Ehe zustimmen:
alsdann ist die zweite Ehe nichtig; oder er kann die erste Ehe anfechten und der zweiten
Ehe zustimmen: alsdann ist die zweite Ehe gültig und die erste nichtig; oder er sicht alle
beide Ehen an: dann sind alle beide nichtig.
b) In gleicher Art kann eine wegen Irrtums oder Zwanges anfechtbare
Ehe dadurch vollgültig werden, daß der anfechtungsberechtigte Gatte, nachdem
er den Irrtum oder die Täuschung entdeckt hat oder aus der Zwangslage
befreit ist, die Ehe bestätigt (1337 II, 1341 1l).4
c) Eine anfechtbare Ehe wird endlich dadurch vollgültig, daß der An-
fechtungsberechtigte die Anfechtungsfrist verstreichen läßt, ohne die Anfechtung
zu erklären, oder daß er die rechtzeitig erhobene Anfechtungsklage zurücknimmt,
ohne die Anfechtung vor Ablauf der Frist zu erneuern (1339, 1341).
IV. Die Verbindung von Mann und Weib ist eine vollgültige Ehe, wenn
bei ihrer Eingehung irgendeine andre zu IIIII nicht aufgezählte Vorschrift
unbeobachtet geblieben ist.
4) RG. 69 S. 412.