552 Buch VII. Abschnitt 2. Das Eherecht.
Frau; es liegt also ein Ehbescheidungsgrund nur in dem Verhalten der Frau vor. III. Ein
Ehemann, der weiß, daß er an einer gefährlichen ansteckenden Krankheit leidet, verkehrt mit
seiner Frau, ohne sie zu warnen; die Frau wird angesteckt und verfällt infolgedessen unheilbarer
Geisteskrankheit. Hier liegt ein Ehescheidungsgrund in der Person des Manns (1568) und der
Frau (1569) vor, obschon nicht die Frau, sondern nur der Mann die Schuld an dem Unglück
trägt. IV. Eine Frau, die von ihrem Mann seit Jahren getrennt lebt, verlangt plötzlich die
Scheidung, weil der Mann sich eines Ehebruchs schuldig gemacht und sie bei einem gelegent-
lichen Wiedersehn mißhandelt hat; tatsächlich kommt nach den Umständen des Einzelfalls
auf den Ehebruch des Mannes gar nichts an: denn bei dem leichtfertigen Lebenswandel, den
die Frau selber führt, ist ihr dieser Ehebruch eher ein Spaß als ein Argernis gewesen;
dagegen hat die Frau die Mißhandlung bitter empfunden, weil sie nicht den mindesten Anlaß
zu ihr gegeben hatte. Hier ist rechtlich nur der Ehebruch von Belang: denn er ist absoluter
Scheidungsgrund, die Mißhandlung nicht; für den Ehebruch sind also „die Umstände des
Einzelfalls“ unerheblich; dagegen ist bei der Mißhandlung zu erwägen, daß sie nur ge-
legentlich geschah und bei dem getrennten Leben der Gatten keine „tiese Zerrüttung des
ehelichen Verhältnisses“ herbeigeführt haben kann. V. Die Frau erlaubt sich ein rohes
Schimpfwort gegen den Mann. Hier kann diese Beleidigung ein Scheidungsgrund sein,
wenn der Mann ein ehrsamer Arbeiter, sie ist möglicherweise kein Scheidungsgrund, wenn der
Mann ein verkommener Tagedieb ist. VI. Ein Mann hat die fixe Idee, daß der Anblick
eines Weibes ihm den Tod bringe, und verkehrt deshalb mit seiner Frau nur schriftlich.
Hier liegt kein Scheidungsgrund vor, auch wenn der Wahn des Mannes unheilbar ist: denn
es ist ja noch ein Rest geistiger Gemeinschaft zwischen den Gatten vorhanden. Anders läge
der Fall, wenn der Mann durch seine fixe Idee zum Weiberfeinde geworden wäre, alles
Verständnis für seine Frau verloren hätte und nicht einmal brieflich mit ihr verkehrte.?
3. Andre Scheidungsgründe als die eben genannten gibt es nicht. Ins-
besondre kann die Ehe nicht geschieden werden, wenn die Gatten bei näherer
Bekanntschaft erkennen, daß sie schlechterdings nicht zueinander passen,
und deshalb nach reiflicher Prüfung beiderseits in die Scheidung willigen,
wenn der Mann unverschuldet in Vermögensverfall gerät, wenn Mann
oder Frau unverschuldet von anfallweise auftretender geistiger oder von an-
dauernder körperlicher Krankheit heimgesucht wird, mag auch die Krankheit
die Erfüllung des Zwecks der Ehe unmöglich machen usw.
4. Nicht selten liegen Scheidungsgründe in der Person beider Gatten vor.
Dann heben sich die Scheidungsgründe nicht auf. Vielmehr sind in solchen
Fällen alle beide Gatten klagberechtigt.
5. Das Recht, auf Scheidung zu klagen, ist in allen Fällen, in denen es
auf eine Verschuldung des Beklagten gestützt wird, zwiefach beschränkt.
a) Es erlischt, sobald der Kläger dem Beklagten verziehen hat (1570).
b) Es erlischt ferner, wenn die Klage nicht binnen einer gewissen Aus-
schlußfrist erhoben wird; die Frist beträgt sechs Monate, seitdem der Kläger
von dem Scheidungsgrunde Kenntnis erlangt hat, längstens aber zehn Jahre,
seitdem der Scheidungsgrund objektiv eingetreten ist; solange die häusliche
Gemeinschaft der Gatten aufgehoben ist, läuft die Frist nicht, es sei denn, daß
der Beklagte den Kläger aufgefordert hat, entweder die Gemeinschaft herzu-
stellen oder die Scheidungsklage zu erheben (1571).“
5) Rechtsprechung der Oberlandesgerichte 2 S. 324, 4 S. 88. Abw. ebenda 2 S. 326.
6) R. 53 S. 337, 57 S. 193, 61 S. 161, 63 S. 113.