630 Buch VII. Abschnitt 3. Das Recht der ehelichen Kinder.
III. Das Rechtsverhältnis der ehelichen Kinder zu ihren Eltern im
allgemeinen.
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Die eheliche Kindschaft ist wechselnden Inhalts. Das zeigt sich am deut-
lichsten dadurch, daß sie zwei grundverschiedene Stadien durchläuft.
I. In ihrem ersten Stadium, während der Minderjährigkeit des Kindes,
pflegt die eheliche Kindschaft sowohl die persönlichen wie die Vermögensan-
gelegenheiten des Kindes zu ergreifen. Und zwar steht in diesem weiten Be-
reich den Eltern regelmäßig eine eigentümliche Herrschaft über das Kind zu,
die elterliche Gewalt (1626). Für sie stellt das Gesetz folgende überaus
kunstvolle Regeln auf.
1. a) Die elterliche Gewalt gebührt in erster Reihe dem Vater.
a) Die Gewalt des Vaters beginnt sofort mit der Geburt des Kindes;
soweit die künftigen Rechte eines bereits empfangenen, aber noch nicht ge-
borenen Kindes einer Fürsorge bedürfen, wird die Gewalt schon vor der Ge-
burt wirksam (1627, 19129.
6) Die Gewalt des Vaters ruht (s. 1676, 1677):
an) wenn er geschäftsunfähig oder beschränkt geschäftsfähig ist;
895) wenn das Vormundschaftsgericht ausdrücklich feststellt, daß er durch
Krankheit, Reisen u. dgl. an der Ausübung seiner Gewalt tatsächlich behindert ist.
9) Die Gewalt des Vaters erlischt (s. 1626, 1679, 1680, 1765):
aa) wenn das Kind volljährig wird;
88) wenn der Vater oder das Kind stirbt;
)0) wenn der Vater wegen einer an dem Kinde vorsätzlich begangenen
Straftat zu Zuchthaus oder mindestens sechs Monaten Gefängnis verurteilt wird;
0) wenn das Kind adoptiert wird.
Beispiele. I. A. hat zwei Töchter, die zweiundzwanzigjährige B. und die achtzehnjährige
C.; die B. lebt unverheiratet beim Vater und ist wegen Kränklichkeit und Vermögenslosigkeit
gänzlich abhängig von ihm; die C. ist mit einem wohlhabenden Mann verheiratet und von
ihrem Vater tatsächlich unabhängig. Hier steht die C. in der elterlichen Gewalt des A.,
während die B. gewallfrei ist. II. D. steht unter der Anklage des Mordversuchs, begangen
an seinem sünfjährigen Kinde E. Hier büßt D. seine Gewalt über E. ein, wenn er wegen
seiner Tat zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt wird. Wird er dagegen freigesprochen, weil
er die Tat im Zustande sinnloser Trunkenheit begangen hat, so bleibt seine Gewalt über E.
fortbestehn, und nur ihre Ausübung kann ihm vom Vormundschaftsgericht untersagt werden
(1666). Ebenso wird, wenn D. infolge seiner Trunkenheit unheilbarem Wahnsinn ver-
ällt, seine Gewalt über E. nicht aufgehoben, sondern sie „ruht“ bloß (1676 1).
Besondre Regeln gelten für den Fall, daß der Vater fälschlich für tot erklärt wird (1679,
1684). Wegen der Seltenheit des Falls soll hierauf nicht näher eingegangen werden.