698 Buch VII. Abschnitt 7. Das Vormundschaftsrecht.
Beispiele. I. Eine Witwe benennt im Vollbesitz ihrer elterlichen Gewalt testamentarisch
für ihr Kind einen Vormund; bald darauf wird sie geisteskrank und stirbt in der Krankheit.
Hier ist die Benennung des Vormundes ungültig, auch wenn die Witwe weder entmündigt
noch ihre elterliche Gewalt für ruhend erklärt worden ist (1676 I, 1686). Dagegen wäre
die Benennung des Vormundes gültig gewesen, wenn die Witwe zur Zeit ihres Todes ihre
geistigen Kräfte wiedererlangt hätte. II. Eine minderjährige Witwe benennt für ihr Kind
einen Vormund; kurze Zeit, nachdem sie volljährig geworden, stirbt sie. Hier ist die Be-
nennung des Vormundes gültig; denn die Witwe ist zwar nicht zur Zeit der Benennung
des Vormundes, wohl aber zur Zeit ihres Todes im Vollbesitz der elterlichen Gewalt gewesen.
III. Ein Ehepaar ist geschieden und der Mann für allein schuldig erklärt. Hier kann den
Vormund nicht die unschuldige Mutter, sondern nur der schuldige Vater bestimmen.
Die Benennung des Vormundes durch die Eltern geschieht von Todes wegen, ist also
bei einer schon zu ihren Lebzeiten eingeleiteten Vormundschaft unwirksam. Demnach kann
ein Witwer, der eine mehrjährige Reise antreten muß, während deren seine elterliche Gewalt für
ruhend erklärt wird (1677), für diese Zeit einen Vormund für seine Kinder nicht benennen.
Das Vorrecht der Großväter fällt sort, wenn ihr Enkel von einem andern als dem
Ehegatten seines Vaters oder seiner Mutter adoptiert worden ist; das nämliche gilt, wenn
nicht der Mündel selbst, sondern dessen Vater oder Mutter adoptiert ist, vorausgesetzt, daß
sich die Wirkung der Adoption auf das Kind miterstreckt: doch fällt bei der Adoption des
Vaters nur das Vorrecht des Großvaters väterlicherseits, bei der Adoption der Mutter nur
das Vorrecht des Großvaters mütterlicherseits fort (1776 1M).
b) Das Vorrecht der zu a genannten Personen ist kein unbedingtes.
Vielmehr muß jeder Bevorrechtigte sich seine Ubergehung gefallen lassen: wenn
ihm einer der später zu erwähnenden Ausschließungsgründe entgegensteht, wenn
er an der Übernahme der Vormundschaft verhindert ist oder die Übernahme
verzögert, wenn seine Bestellung das Interesse des Mündels gefährden würde;
außerdem kann das Vormundschaftsgericht, wenn der Mündel eine Ehefrau
ist, den Ehemann, wenn der Mündel ein uneheliches Kind ist, die Mutter
sämtlichen Bevorrechtigten vorziehn (1778 I, III).
) Wird ein Bevorrechtigter bei der Vergebung einer Vormundschaft ohne
seine Zustimmung zu Unrecht übergangen, so kann er mittels sofortiger Be-
schwerde die nachträgliche Ubertragung der Vormundschaft und die Entlassung
des fälschlich bestellten Vormundes verlangen (R. FG. 60 Nr. 1).
d) Andre bevorrechtigte Personen als die zu a genannten gibt es nicht.
Insbesondre haben die uneheliche Mutter und der Ehemann, obschon sie den
Bevorrechtigten vorgezogen werden können, für ihre Person einen Anspruch auf
die Berufung zur Vormundschaft nicht; sie können sich also nicht beschweren,
wenn das Vormundschaftsgericht ihnen irgend eine andre Person vorzieht.
2. Ist ein Bevorrechtigter nicht vorhanden oder wird ihm die Vormund-
schaft trotz seines Vorrechts nicht übertragen, so hat das Vormundschafts-
gericht den Vormund nach Anhörung des Gemeindewaisenrats in der Art
auszusuchen, daß es tunlichst einen Religionsgenossen des Mündels zu wählen
und Verwandte oder Verschwägerte des Mündels zunächst zu berücksichtigen
hat (1779; R. FG. 49).
Bei der Berücksichtigung der Verwandten und Verschwägerten kommt es auf den Grad
der Verwandtschaft oder Schwägerschaft nicht an; demgemäß kann das Gericht nach Gut-