706 Buch VII. Abschnitt 7. Das Vormundschaftsrecht.
Ortlich zuständig ist das Gericht, in dessen Bezirk der Mündel zu der Zeit, da die An-
ordnung der Vormundschaft erforderlich wird, seinen Wohnsitz oder in Ermanglung eines
nländischen Wohnsitzes seinen Aufenhalt hat; ist der Mündel ein Deutscher und hat er im
Inlande weder Wohnsitz noch Aufenthalt, so ist das Gericht seines letzten inländischen Wohn-
sitzes und in Ermanglung eines solchen Wohnsitzes ein von der Justizverwaltung zu be-
stimmendes Gericht zuständig (s. R. FG. 36, 44, 4, 5, 7). Diese Zuständigkeit dauert während
der ganzen Vormundschaft fort, auch wenn der Wohnsitz oder Aufenthalt des Mündels
wechselt. Doch kann aus wichtigen Gründen eine Ausnahme gemacht und die Vormund-
schaft von dem anfangs zuständigen an ein andres Gericht abgegeben werden (R. F. 46,
47 II); Beispiel: der in Danzig verstorbne A. hat seinen in Heidelberg wohnhaften Schwager B.
als Vormund seiner Kinder benannt; hier kann, wenn B. zur ÜUbernahme des Amts bereit
ist, die Vormundschaft an das Heidelberger Gericht abgegeben werden.
b) Für einzelne Vormundschaften können die Rechte und Pflichten des
Vormundschaftsgerichts einem Familienrat übertragen werden (1872). Dies
geschieht: erstens wenn der Vater oder die eheliche Mutter es letztwillig an-
geordnet hat; zweitens wenn ein Verwandter oder Verschwägerter des
Mündels oder der Vormund oder Gegenvormund es beantragt und das Vor-
mundschaftsgericht den Antrag im Interesse des Mündels für angemessen er-
achtet (s. 1858, 1859; R. FG. 57 Nr. 4). Der Familienrat besteht aus dem
Vormundschaftsrichter als „Vorsitzenden“ und aus 2—6 „Mitgliedern“; letztere
werden von dem Vater oder der ehelichen Mutter letztwillig benannt oder in
Ermanglung solcher Benennung teils vom Vormundschaftsgericht teils von
dem Familienrat selber ausgewählt und vom Vormundschaftsrichter mittels
Handschlages an Eides Statt zu treuer und gewissenhafter Führung ihres
Amts verpflichtet (s. 1860 —1871; R. FG. 190, 60 Nr. 1); ihr Amt endigt wie
das des Vormundes mit der Maßgabe, daß sie gegen ihren Willen nicht vom Vor-
mundschaftsgericht, sondern nur vom Landgericht abgesetzt werden können (1878;
R. FG. 60 Nr. 4, 64). Der Familienrat faßt seine Beschlüsse mit einfacher
Stimmenmehrheit (1873 ff.), so daß die „Mitglieder“, wenn sie einig sind, den
vorsitzenden Richter überstimmen können. Fehlt es an geeigneten Personen
zur Besetzung des Familienrats, so ist er vom Vormundschaftsgericht aufzu-
heben (1879).
3. Das Vormundschaftsgericht soll, bevor es eine Entscheidung fällt, je
nach Lage des Falls den Gegenvormund, den Mündel sowie Verwandte oder
Verschwägerte des Mündels hören; doch ist dies nur Ordnungsvorschrift: die
Entscheidung bleibt gültig, auch wenn die Anhörung unterblieben ist (1826,
1827, 1847).
In Ansehung dieser Frage hat das BGB. uns einen reichen Hort reizvoller Einzel-
regeln bescheert. Man lerne:
a) Die Anhörung des Gegenvormunds soll, wenn tunlich, erfolgen, bevor das Gericht
über die Genehmigung irgendeiner Handlung des Vormundes entscheidet (1826).
b) Die Anhörung des Mündels soll erfolgen, bevor das Gericht I. über die Begründung
eines Lehr-, Dienst= oder Arbeitsverhältnisses für den Mündel, II. über den Antrag auf
Entlassung des Mündels aus dem Staatsverbande, III. über irgendeine Handlung des Vor-
mundes, die das unbewegliche Vermögen des Mündels oder den Betrieb eines Erwerbs-