Full text: Lehrbuch des Deutschen bürgerlichen Rechts. Zweiter Band. Das Sachenrecht. - Das Recht der Wertpapiere. - Das Gemeinschaftsrecht. - Das Recht der juristischen Personen. - Das Familienrecht. - Das Erbrecht. (2)

862 Buch VIII. Abschnitt 4. Die Rechtsstellung der Erben. 
Anhang. Rüchblick auf das bisherige Recht. 
#429. 
I. Die Rechtsstellung des Alleinerben war im bisherigen Recht im ganzen 
ebenso bestimmt wie im jetzigen Reichsrecht. Nur bei der Behandlung der 
Nachlaßschulden gab es erhebliche Abweichungen. 
1. a) Das sächsische Recht war nach dem Vorbilde des altdeutschen Rechts 
dem Erben günstiger als das bürgerliche Gesetzbuch: es beschränkte seine Haf- 
tung von Anfang an auf den Nachlaß und ließ die Haftbeschränkung fortdauem, 
auch wenn der Erbe eine Inventarisierung des Nachlasses versäumte.1 
b) Umgekehrt war das bisherige gemeine, preußische und französische Recht 
nach dem Vorbilde des römischen Rechts strenger gegen den Erben: diese Rechte 
betrachteten die Haftbeschränkung als eine Gunst, die der Erbe erst dadurch 
verdiente, daß er binnen einer festen von Gesetzes wegen laufenden Frist ei 
formelles Nachlaßinventar errichtete; demgemäß wurde die Haftbeschränkung 
des Erben als „Rechtswohltat“ des Inventars und der beschränkt haftende 
Erbe als „Benefizialerbe“ bezeichnet. 2 
2. Im bisherigen gemeinen Recht war es streitig, ob der beschränkt hef- 
tende Erbe, wie im altdeutschen Recht, nur mit dem Nachlaß oder ob er, wie 
im römischen Recht, mit seinem Gesamtvermögen in Höhe des Nachlaßwert 
haftete; im preußischen und sächsischen Recht haftete er nur mit dem Nachlaß 
das französische Recht vermittelte, indem es ihn unter gewissen Vorauesetzungen 
mit seinem Gesamtvermögen in Höhe des Nachlaßwerts haften ließ, ihm aber 
gestattete, sich durch Preisgabe des Nachlasses zu befreien. 3 
3. Ein Nachlaßkonkurs war ausgeschlossen, wenn der Erbe für die Nach- 
laßschulden unbeschränkt haftete." 
4. Eine amtliche Nachlaßverwaltung außerhalb des Nachlaßkonkurses fand 
soweit sie überhaupt zugelassen, nur auf Antrag der Gläubiger statt.“ 
5. Der beschränkt haftende Erbe durfte nach bisherigem gemeinem und 
wenn er ein Nachlaßinventar errichtet hatte, auch nach sächsischem Recht die 
Nachlaßgläubiger in beliebiger Reihenfolge befriedigen, bis der Nachlaß er 
schöpft war; dagegen hatte er nach preußischem und französischem Recht 
darauf zu halten, daß die Gläubiger nach ihrer Rangordnung im Konkuse 
und bei Gleichheit des Ranges gleichmäßige Befriedigung erhielten." 
1) Sächs. GB. 2328. 
2) Dernb. 3 § 171; pr. LR. I, 9 8§ 418 ff., 422 ff.; c. c. 802, 793ff. 
3) Windscheid-Kipp 3 § 606; pr. LR. I, 9 § 422; sächs. GB. 2328; c. c. 802. 
4) Jäger, Erbenhaftung (93) S. 32. 
5) Dernb. 3 8 170; Eceius 4 § 270 100, 102. 
6) Dernb. 3 § 171; sächs. G. 2331; pr. LR. I, 9 § 452; c. c. 808.
	        
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