§ 187. Abgeleiteter Besitzerwerb. Übergabe. Besitzvererbung. 71
4. Im Gegensatz zu dem Erwerbe neubegründeten Besitzes ist der Besitz-
erwerb durch Übergabe rechtsgeschäftlicher Natur." Demnach setzt er auf Seiten
beider Parteien Geschäftsfähigkeit voraus; er kann durch Stellvertreter" nur
vorgenommen werden, wenn sie mit gehöriger Vertretungsmacht ausgerüstet
sind usw.
Beispiel. A. hat dem B. irrtümlich statt des Hauses x das Haus y vor dem Grund-
buchamt aufgelassen und sofort übergeben. Hier kann A. nicht bloß die Auflassung, sondern
auch die Übergabe wegen Irrtums anfechten; tut er es, so büßt B. auch den Besitz des
Hauses ein, es sei denn, daß er inzwischen die tatsächliche Herrschaft über das Haus
erlangt hat.
5. Der Besitzerwerb durch Übergabe betrifft niemals besitzfreie Sachen und
hat deshalb stets den Verlust fremden Besitzes zur Folge.
6. Der Besitz des Erwerbers reicht im Fall der Übergabe soweit wie die Übergabe selbst.
Demnach kann er sich, wenn die Hauptsache übergeben ist, auch auf das Zubehör erstrecken,
selbst wenn die Parteien des Zubehörs nicht ausdrücklich gedacht haben. Denn in der Über-
gabe der Hauptsache ist die Übergabe des Zubehörs oft stillschweigend mit einbegriffen.
II. Der Erwerb bereits bestehenden Besitzes durch Erbgang# folgt den
allgemeinen erbrechtlichen Regeln (s. 857); demnach setzt er nicht voraus, daß
der Erbe im Augenblick des Erbfalls die tatsächliche Herrschaft über die Sache
hatte oder auch nur „in der Lage war, sie auszuüben“; der Erbe braucht den
Besitzerwerb nicht zu wollen und nicht einmal etwas von ihm zu erfahren usw.
Gleichgültig ist es, ob der Erblasser irgendein Recht auf den Besitz gehabt hat.
Beispiele. I. Siehe oben den ersten Fall S. 64, 65. II. Man nehme in diesem Fall
an, daß A. den Rehbock nicht in seiner Jagdhütte geborgen, sondern, während er nach der
Schußstelle zurückging, irgendwo im Walde versteckt hätte. Hier geht sein Besitz im Augen-
blick seines Todes gleichfalls sofort auf die Erben übers; doch erlischt ihr Besitz alsbald,
weil ja A. das Geheimnis des Verstecks mit ins Grab genommen hat und somit die Erben
nicht bloß vorübergehend behindert sind, den ererbten Besitz tatsächlich geltend zu machen.
c) Rechtliche Bedeutung des unmittelbaren Besitzes.
a) Allgemeines.
188.
Der Besit ist kein Recht. # Wohl aber ist er ein rechtlicher Tatbestand,
an den das Gesetz Rechtswirkungen der mannigfachsten Art knüpft.
I. 1. Eine der wichtigsten Rechtswirkungen des Besitzes, von der alsbald
83) Biermann, Anm. 7 zu 8§ 854. Abw. Manigk S. 691; Bruns, Besitzerwerb (10)
88 4 flg. 4) Przibilla, Jahrb. f. Dogm. 50 S. 323.
5) Crull, Besitz des Erben (Diss. 00). 6) Abw. Binder, Rechtsstellung des Erben
(01) 1 S. 52.
1) Josef, Arch. f. BR. 15 S. 265; Gärtner, gerichtl. Schutz gegen Besitzverlust (01);
Giese, Besitzrechtsschutz (01); Regelsberger, gerichtl. Besitzschutz (07).
1a) Bgl. Landsberg S. 621.