Full text: Lehrbuch des Deutschen bürgerlichen Rechts. Zweiter Band. Das Sachenrecht. - Das Recht der Wertpapiere. - Das Gemeinschaftsrecht. - Das Recht der juristischen Personen. - Das Familienrecht. - Das Erbrecht. (2)

–* 441. Pflichtteilsrecht der Kinder. 893 
a) Hier kann das Kind kraft seines Pflichtteilsrechts von den Erben die 
Zahlung einer Geldsumme beanspruchen, die dem Wert der Hälfte seines ge- 
setzlichen Erbteils entspricht (2303). Diese Summe sei als der volle 
Pflichtteil des Kindes bezeichnet. 
Beispiel. Der Witwer A. hinterläßt drei Söhne B., C. und D.; testamentarisch be- 
ruft er den C. und den D. als Alleinerben, während er des B. nicht gedenkt; sein Nachlaß 
beträgt 60 000 Mk. Hier kann B. von seinen Brüdern die Auszahlung von ½. ½.60000 
= 10000 Mk. fordern. 
b) Eine wesentliche Steigerung erfährt das Pflichtteilsrecht eines Kindes, 
wenn der Erblasser bei Errichtung der Verfügung, die das Kind von der Erb- 
folge ausschloß, sein Dasein nicht gekannt hat oder wenn das Kind erst geboren 
oder pflichtteilsberechtigt geworden ist, als der Erblasser die Verfügung bereits 
errichtet hatte. Hier braucht nämlich das Kind sich mit dem Anspruch auf den 
Pflichtteil nicht zu begnügen, sondern kann die Verfügung als ungültig an- 
fechten und damit der gesetzlichen Erbfolge Raum schaffen (2079 Satz 1). Die 
Folge ist, daß dem Kinde sein voller gesetzlicher Erbteil und, wenn es gesetz- 
licher Alleinerbe ist, sogar die ganze Erbschaft zufällt. Doch ist die Anfechtung 
insoweit ausgeschlossen, als anzunehmen ist, daß der Erblasser die Verfügung 
auch bei Kenntnis der Sachlage getroffen haben würde (2079 Satz 2).1 
Beispiele. I. Nimmt man in dem zu a genannten Fall an, daß A., als er C. und D. 
zu Alleinerben berief, den B. irrtümlich für tot gehalten hat, so kann B., wenn er das 
Testament seines Vaters anficht, nicht bloß den Pflichtteil von 10000 Mk., sondern seinen vollen 
Erbteil im Wert von 20000 Mk. beanspruchen. II. Das gleiche gilt, wenn A. vor der Er- 
richtung des Testaments dem B. das Pflichtteilsrecht entzogen, nachträglich aber ihm verziehn 
hat: B. gewinnt durch die Verzeihung nicht bloß das Pflichtteils-, sondern, wenn er das väter- 
liche Testament anficht, das volle gesetzliche Erbrecht. III. Das gleiche gilt auch dann, wenn 
B. ein uneheliches Kind des A., aber nach der Testamentserrichtung legitimiert ist. Doch ist 
die Anfechtung in diesem Fall ausgeschlossen, wenn die Legitimation zu der Zeit, da A. 
das Testament errichtete, bereits offenkundig im Gange war; denn alsdann ist anzunehmen, 
daß A. „auch bei Kenntnis der Sachlage“ das Alleinerbrecht seiner beiden ehelichen Söhne 
angeordnet haben würde. 
2. Zweiter Fall: das Kind ist kraft Gesetzes oder durch eine Verfügung 
des Erblassers als Erbe berufen, ohne vom Erblasser in Ansehung der Erb- 
schaft beschwert oder beschränkt zu werden. 
a) Hier muß das Kind sich mit dem ihm hinterlassenen Erbteil zufrieden 
geben, wenn er mehr als die Hälfte seines gesetzlichen Erbteils oder gerade 
ebensoviel ausmacht. Weist es den Erbteil zurück, so erhält es gar nichts. 
b) Beträgt der hinterlassene Erbteil weniger als die Hälfte des gesetzlichen 
Erbteils, so braucht das Kind sich nicht damit zu begnügen, sondern kann 
zusätzlich zu dem hinterlassenen Erbteil von den Miterben die Zahlung einer 
Geldsumme verlangen, die dem Wertunterschiede zwischen dem hinterlassenen 
und dem halben gesetzlichen Erbteil entspricht (2305). Diese Summe sei Zu- 
satzpflichtteil genannt. 
1) NG. 59 S. 62. 2) Abw. Strohal § 57 18.
	        
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