76 Buch III. Abschnitt 2. Besitz und Inhabung.
schon bei Lebzeiten des Erblassers — erworben hätte. Doch liegt hier anscheinend nur ein
Redaktionsfehler vor.“
Veräußert ein Besitzer, dessen Besitz fehlerhaft war, die Streitsache, nachdem der Be-
sitzanspruch bereits rechtshängig geworden war, so kommen 3PO. 265, 325 I, II zur An-
wendung.7
4. Der Anspruchsberechtigte darf nicht dem Einwande ausgesetzt sein, daß,
während er den Besitz des Anspruchsgegners im Verhältnis zu sich selbst für
fehlerhaft erklärt, sein eigner oder seines Rechtsvorgängers Besitz im Verhältnis
zu dem Anspruchsgegner oder dessen Rechtsvorgängern gleichfalls fehlerhaft sei
(sog. exceptio vitiosae possessionis); der Einwand erlischt aber, wenn seit
Verübung der Eigenmacht, um deren willen der Besitz des Anspruchsberechtigten
fehlerhaft sein soll, bis zur Verübung der Eigenmacht, auf der die Fehler-
haftigkeit des Besitzes des Anspruchsgegners beruht, ein Jahr verstrichen ist
(s. 861 II). Daß der Besitz des Anspruchsberechtigten oder seines Rechtsvor-
gängers gegenüber andern Personen als dem Anspruchsgegner und dessen
Rechtsvorgänger fehlerhaft ist, macht nichts aus.
Beispiele. I. A. hat gelegentlich eines Besuchs bei B. im Mai 1911 aus Versehn
ein dem B. gehöriges Buch mitgenommen; im Juni 1911 entdeckt B. den Vorsall, dringt
nun sofort eigenmächtig bei A. ein und nimmt, als A., der sich irrigerweise für den Eigen-
tümer des Buchs hält, die Herausgabe verweigert, das Buch gewaltsam an sich. Hier kann
A. wegen der ihm angetanen Gewalt keinen Besitzanspruch gegen B. geltend machen; denn
wenn schon B. ihm gegenüber sehlerhaft besitzt, war doch sein eigner Besitzerwerb gegenüber
B. nicht minder fehlerhaft; denn er hat ja das Buch, wenn schon unbewußt, gleichfalls durch
verbotene Eigenmacht, erlangt. II. Derselbe Fall; nur gehörte das Buch nicht dem B., sondern
war ihm von C. geliehen; A. aber hat angenommen, das Buch gehöre seinem Freunde D.,
und hat es an diesen unter Mitteilung des Sachverhalts abgeliesert; demgemäß spielt der
zweite Gewaltakt im Juni 1911 nicht zwischen B. und A., sondern zwischen C. und D. ab.
Hier ist die Entscheidung dieselbe wie zu 1; denn nicht bloß A., sondern auch sein sachkun-
diger Besitznachfolger D. hat den Besitz fehlerhaft erworben, und diese Fehlerhaftigkeit galt
nicht bloß gegenüber B., sondern auch gegenüber dessen Rechtsvorgänger C. III. Dagegen
wäre anders zu entscheiden: 1. im Fall II, wenn D. nicht gewußt hat, daß A. das Buch dem
B. versehentlich fortgenommen hatte, 2. in beiden Fällen zu l und II, wenn A. das Buch
bereits im Mai 1910 fortgenommen hätte. III. F. hat eine Sache dem G., H. hat sie dem
F. gestohlen: nun verlangt F. von H. als fehlerhaftem Besitzer die Herausgabe der Sache.
Hier kann H. nicht einwenden, daß F.8 eigner Besitz gleichfalls auf Diebstahl beruhe und
also gleichfalls fehlerhaft sei. Denn diese Fehlerhaftigkeit bestand nur gegenüber G., und H.
ist durch seinen Diebstahl wohl Besitz-, aber nichts „Rechts" nachfolger des G. geworden.
Unter Umständen kann es geschehn, daß der Anspruchsberechtigte den vom Anspruchs-
gegner erhobenen Einwand des sehlerhaften Besitzes durch einen gleichartigen Gegeneinwand
pariert. Beispiel: A. hat im März den B., B. im April wieder den A., A. im Mai von
neuem den B. aus dem Besitz eines Stück Landes verdrängt; hier wird, wenn B. wegen der
Gewalttat des Mai von A. als fehlerhaftem Besitzer die Herausgabe des Grundstücks fordert,
der Einwand, B.8 Maibesitz sei wegen der Gewalttat des April gegenüber A. fehlerhaft ge-
wesen, durch den Gegeneinwand entkräftet, daß wegen der Gewalttat des März auch A.3#
Aprilbesitz gegenüber B. fehlerhaft gewesen ist.
Sehr sonderbar ist, daß nach dem Wortlaut des Gesetzes die zu 4. genannte Jahres-
frist von der zweiten Eigenmacht ab nicht bis zur ersten Eigenmacht, sondern bis zum Besitz-
6) Planck-Greiff, Anm. Za zu § 858, abw. die 4. Aufl. d. Buchs 2 S. 82.
7) Hellwig, Rechtskraft S. 354; abw. Planck-Greiff, Anm. 2 zu § 861.