8 189. Anspr. w. Besitzentziehung. Einwand fehlerhaften Besitzes. 77
erwerbe des Anspruchsberechtigten zurückgerechnet werden soll, was offenbar nicht für den
Fall paßt, daß der Anspruchsberechtigte nicht selber Urheber der ersten Eigenmacht gewesen,
sondern erst Besitznachfolger dieses Urhebers geworden ist. Doch liegt hier zweifellos wieder
ein bloßer Redaktionsfehler vor. Er ist so handgreiflich, daß er denen als Warnung dienen
möge, die eine freie den Wortsinn des Gesetzestextes verleugnende Auslegung des BGB.8
grundsätzlich verwerfen. Auch Planck-Greiff gibt zu, daß die Fassung des BGB.8 hier nicht
u„ganz genau" (l) sei, macht aber durch seine eigne Bemerkung, bei der der Anspruchsberech-
tigte und der Gegner verwechselt werden, die Verwirrung noch schlimmer.
5. Seit der Besitzentziehung darf noch kein Jahr verstrichen oder es muß
binnen des Jahrs der Anspruch im Wege der Klage geltend gemacht worden
sein (864 D.
Beispiel. A. hat am 1. März 1910 den B. gewaltsam aus dem Besitz eines Grund-
stücks gedrängt und am 1. April 1911 eben dies Grundstück unter Mitteilung des Sach-
verhalts dem C. übergeben. Hier muß B. gegen A. wegen der Besitzentziehung spätestens
am 1. März 1911 Klage erheben; andernfalls ist sein Anspruch wegen Besitzentziehung gegen
A. erloschen, während er einen gleichartigen Anspruch gegen C. überhaupt nicht erwirbt.
Daß B. die rechtzeilige Klagerhebung unterläßt, weil er geisteskrank geworden ist und eines
Vormundes entbehrt, ändert an dieser Rechtslage nichts, da es sich nicht um eine Ver-
jährung, sondern um eine Befristung seines Anspruchs handelt und demgemäß die Vor-
schriften über Hemmung oder Unterbrechung der Verjährung (s. 206) auf unfre Jahresfrist
keine Anwendung finden.
6. Nach der Besitzentziehung darf nicht durch rechtskräftiges Urteil fest-
gestellt worden sein, daß dem Urheber der Besitzentziehung ein dingliches 10 Recht
auf den Besitz der Sache zustand (s. 864 11).
Beispiel. A. hat zwei dem B. gehörige Häuser x und F zu Unrecht im Besitz; durch
Erkenntnis vom 1. März wird er verurteilt, beide Häuser dem B. herauszugeben; inzwischen
hat aber B. im Vertrauen auf sein gutes Recht x bereils im Februar 1911 gewaltsam in
Besitz genommen; nachdem das Urteil vom 1. März am 15. April rechtskräftig geworden,
tut er ein gleiches auch mit y. Hier hat A. einen Anspruch wegen Besitzentziehung gegen
B. nur wegen 7, nicht auch wegen x; denn das Urteil vom 1. März schließt einen Besitz-
anspruch des A. wegen der älteren, nicht auch wegen der jüngeren Besitzentziehung aus! 1
Siehe auch unten zu III 1.
II. Das Ziel des Anspruchs ist lediglich die Wiedereinräumung des ent-
zogenen Besitzes (861 1). Selbstverständlich können dem Besitzer im Einzelfall
auch Ansprüche auf Schadensersatz u. dgl. zustehn; doch sind diese besonders
zu begründen und unterliegen den für die kurzfristigen Besitzansprüche geltenden
Sonderregeln nicht.
Ülber die Frage, ob im Fall der Besitzentziehung durch verbotene Eigenmacht der ver-
drängte Besitzer Schadensersatz aus 823 1 fordern kann, siehe oben S. 72 vorl. Abs.
III. 1. Dadurch, daß dem Anspruchsgegner oder einem seiner Rechts-
vorgänger ein dingliches oder obligatorisches Recht zusteht, kraft dessen er von
dem Anspruchsberechtigten die Herausgabe der Streitsache verlangen könnte,
wenn er sie nicht durch die von ihm verübte Eigenmacht bereits in Besitz ge-
8) Strohal, Jahrb. f. Dogm. 38 S. 132.
9) Vgl. Planck-Greiff, Anm. 4b zu § 861.
10) Abw. Wolff S. 40. 11) Abw. Biermann, Anm. La zu 8§8 864.