Full text: Handbuch des Öffentlichen Rechts. Band III.1.4. Das Staatsrecht des Großherzogtums Hessen. (4)

90 Fünfter Abschnitt: Gemeinden und Gemeindeverfassung. 1. Die Ortsgemeinden. 51. 
2. Die der Gemeinde übertragenen Staatsverwaltungsgeschäfte sind meist allein 
vom Bürgermeister oder in seiner Vertretung von den Beigeordneten zu besorgen. Die 
Gemeindevertretung hingegen nimmt weder mit berathender noch mit beschließender 
Stimme an diesen Geschäften Theil. Doch erleidet auch diese Regel Ausnahmen. So ist 
z. B. ehe der Bürgermeister eine Polizeiverordnung erläßt, die Gemeindevertretung wenig- 
stens gutachtlich zu hören, und bei Dispensationen von Baupolizeivorschriften, die 
auf örtlichen Bestimmungen beruhen, ist sogar die Zustimmung der Gemeindevertretung 
nöthig. 
§ 51. g. Gemeindefinanzen. 1. Gemeindevermögen. 
a) Ueber dessen Benutzung faßt die Gemeindevertretung die entscheidenden Be- 
schlüsse, und der Bürgermeister hat diese Beschlüsse auszuführen. Der Bürgermeister 
kann demgemäß Vermögensstücke der Gemeinde nur dann veräußern oder verpachten, 
wenn dies den Beschlüssen der Gemeindevertretung entspricht; ist letzteres der Fall, so 
soll die Veräußerung oder Verpachtung nur mittels Versteigerung und nur zu einem 
sachverständig festgesetzten Mindestpreise erfolgen. Zu einseitigen Verzichten und Schen- 
kungen, zu jeder Veräußerung, welche die Substanz des Gemeindevermögens schmälert, 
und endlich zur Veräußerung von Grundstücken oder Immobiliarrechten oder von Sachen, 
die einen besonderen geschichtlichen oder Kunstwerth besitzen, ist Genehmigung des Kreis- 
raths vorgeschrieben 7. 
b) Bei allen Rechtsgeschäften, welche eine nicht ständige Einnahme mit sich bringen 
(z. B. Einziehung von Kaufpreisen), muß der Bürgermeister einen von der Gemeinde- 
vertretung je auf ein Jahr gewählten Kontroleur zuziehen, der die Einnahmen in 
ein Gegenbuch einzutragen hat?). 
c) Die Einkünfte des Gemeindevermögens sind regelmäßig in Geld umzusetzen und 
zur Gemeindekasse abzuführen. Eine bare Vertheilung der Einkünfte an die Ortsbürger 
ist nur in solchen Gemeinden statthaft, welche keine Gemeindeabgaben erheben und keine 
Schulden haben 3). 
d) Eine abweichende Stellung nimmt die Allmende ein, welche sich noch in 
vielen Gemeinden, zumeist natürlich in dörflichen, erhalten hat. Der Ertrag der All- 
mende fließt nämlich nicht in die Gemeindekasse, auf daß er den Interessen der ganzen 
Einwohnergemeinde diene, sondern er ist ein Vorbehalt der engeren Ortsbürgergemeinde"); 
und auch den Ortsbürgern steht er nur zu, wenn sie verheirathet sind und in der Ge- 
meinde wohnen?), außerdem auch den Ortsbürgerwittwen; häufig ist sogar nur eine 
kleine Anzahl der Ortsbürger berechtigt, und zwar gehen alsdann diejenigen vor, die 
das Ortsbürgerrecht am frühesten erworben haben. Personen, die das Ortsbürgerrecht 
nicht vermöge Geburt in Anspruch nehmen, müssen oft außer dem gewöhnlichen Einzugs- 
geld noch ein Einkaufsgeld zahlen, wenn sie an der Allmende Antheil haben wollen, oder 
aber für mehrere Jahre auf die Theilnahme verzichten. Eine weitere Besonderheit der 
Allmende ist, daß sie nicht wie das sonstige Gemeindevermögen, von der Gemeindebehörde 
verwaltet und ihr Ertrag in Geld umgesetzt wird; vielmehr steht Verwaltung und Nutzung 
wenigstens zum Theil den Ortsbürgern unmittelbar zu; so werden z. B. die Allmende- 
Aecker in Loose von mindestens einem halben Morgen Umfang, getheilt und den ein- 
1) St O. 49, Nr. 4, 90—94, 48; LO. 48, Nr. 4, 78—82, 47. 
2) StO. 88, LO. 76. 3) Ges. v. 22. Nov. 1872, St O. 114, LO. 89. 
4) Privatverfügungen, z. B. Verzichte der Ortsbürger bezüglich ihres Rechts an der Allmende 
find nur soweit zulässig, als es sich um einzelne bereits erworbene Nutzungen handelt. Entsch. d. 
Verw.G's, Z. 10, S. 52. 
5) Siehe Entsch, des Verw.-G..s, Z. 1, S. 186.
	        
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