94 Fünfter Abschnitt: Gemeinden und Gemeindeverfassung. 1. Die Ortsgemeinden. 8 51.
Gemeinde „anzusinnen“, und es erfolgt, wenn die Gemeinde bei der Weigerung beharrt,
die Feststellung im reinen Verwaltungsstreitverfahren: der Kreisausschuß in erster, der
Provinzialausschuß in zweiter, der Verwaltungsgerichtshof in dritter Instanz entscheiden
auf Grund mündlicher, öffentlicher Verhandlung!). Erst wenn dies Vorverfahren mit
einem rechtskräftigen?) Urtheil abgeschlossen ist, kann die Ausgabe nunmehr in der gleichen
Art, wie zu a) zwangsweise in den Gemeindeetat eingestellt werden: es folgt also jetzt
auf das reine ein gemischtes Verwaltungsstreitverfahren. Ersteres hat sich nur mit der
Feststellung der Ausgabepflicht, letzteres mit der Erzwingung der Ausgabe zu befassen,
ersteres schafft ein bloßes Präjudiz, letzteres führt zur wirklichen Erfüllung der Aus-
gabepflicht.
7. Das soeben geschilderte Zwangsverfahren gegen die Gemeinden setzt stets einen
Antrag des Kreisraths voraus, sei es, daß er den Gemeindeetat beanstandet (Art. 48
III, 3), sei es, daß er der Gemeinde eine Ausgabe im öffentlichen Interesse „ansinnt"
(Art. 48 II, 2). Somit hat der Kreisrath bei Einleitung des Zwangsverfahrens ein
Monopol, ähnlich dem Monopol der Staatsanwaltschaft bei Einleitung des Straf-
verfahrens. Verlangt also eine Privatperson oder eine Korporation von der Gemeinde
eine Ausgabe, so muß sie sich über die Ablehnung nicht beim Kreisausschuß, sondern
zunächst beim Kreisrath beschweren, und wenn dieser der Beschwerde keine Folge gibt,
den Rekurs an das Ministerium nehmen).
Zweifellos ist die Regel freilich nicht. Denn Art. 48 III, 4 gibt den Inter-
essenten gegen alle Beschlüsse der Gemeindevertretungen das Recht der Beschwerde an
den Kreisausschuß, und macht für den Fall, daß der Beschluß in der Ablehnung einer
Ausgabe besteht, keine Ausnahme. Nun wird freilich gesagt, die Ausnahme ergebe sich
aus Art. 48 II, 2 von selbst: hier sei vorgeschrieben, daß der Kreisrath zunächst die Aus-
gabe der Gemeinde ansinnen müsse, und diese Regel gehe als lex specialis der lex
generalis, wonach gegen alle Beschlüsse der Gemeinde die Beschwerde unmittelbar an den
Kreisausschuß gehe, vor. Indeß ist dieser Schluß bedenklich; denn ebenso gut kann
man sagen: wenn der Kreisrath die Ausgabe nicht fordert, liegt der Fall des Art. 48 II, 2
einfach nicht vor, und es hat also bei dem allgemeinen Beschwerderecht gegen Ge-
meindebeschlüsse sein Bewenden. Dazu kommt, daß StO. 83, LO. 73 allen Betheiligten
das Beschwerderecht an den Kreisausschuß ganz speziell für die Gemeindevoranschläge
bestätigt. Auch sachlich kann man sehr darüber streiten, ob es angemessen ist, die Er-
zwingung von Gemeindeausgaben in der Hand des Kreisraths zu monopolisiren: einer-
seits hat das Monopol den Vortheil, daß es die Zahl erfolgloser Prozesse mindert,
andrerseits läßt es die Parteien, denen Kreisrath und Ministerium ihren Beistand ver-
sagen, ohne verwaltungsgerichtlichen Schutz. Wenn ich mich trotz solcher Bedenken für
das Monopol des Kreisraths ausspreche, so ist mein Grund folgender: das vom Kreis-
rath eingeleitete Zwangsverfahren gegen die Gemeinden bewegt sich wie erwähnt in den
Formen des reinen Verwaltungsstreitverfahren; dagegen würde ein von privater Seite
eingeleitetes, also nur aus Art. 48 III, 4 oder aus St O. 83, LO. 73 zu begründendes
Zwangsverfahren den Formen des gemischten Verwaltungsstreitverfahrens folgen; dort
würde also in dritter Instanz der Verwaltungsgerichtshof, hier das Ministerium ent-
scheiden, obschon der Gegenstand in dem einen Verfahren der gleiche ist wie in dem
andern, nämlich die Frage: ist die Gemeinde zu der streitigen Ausgabe verpflichtet? Eine
1) KO. 48 II, 2.
3 „Rechtskräftiger Beschluß des Kreisausschusses“", St O. 85, LO. 73.
— 1585 i„Entsch, des Minist., 3. 2, S. 117, des Verw.G.'s, Z. 2, S. 70. Siehe auch Z. 3,
,158, 4, S. 106.