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derartige Unterscheidung wäre aber mehr als willkürlich; das Gesetz kann sie nicht ge-
wollt haben. Es muß demnach dabei verbleiben, daß das allgemeine Beschwerderecht
gegen Gemeindebeschlüsse sich auf die Verweigerung von Ausgaben seitens der Gemeinde
nicht bezieht, und insbesondere das gegen den Gemeindevoranschlag allen Betheiligten zu-
gestandene Beschwerderecht nur für die Einnahmen und ein Zuviel der Ausgaben
Geltung hat.
8. Der Kreisausschuß ist, wie soeben erwähnt, befugt, die Gemeinden zu Ausgaben
im öffentlichen Interesse zu nöthigen, obschon die Ausgaben weder nach Art noch Höhe
festbestimmt sind. Doch ist das Zwangsrecht des Kreisausschusses engbegrenzt.
a) Selbstverständlich kann er solche Ausgaben, die das Gesetz ausdrücklich dem
Staate oder irgend einem anderen Kommunalverbande auferlegt, — also z. B. den Ge-
halt der staatlich angestellten Ortspolizeibeamten, welchen der Staat, oder die Land-
armenlast, welche der Kreis zu tragen hat, — nicht der Gemeinde aufbürden. Ebenso-
wenig kann er, wenn das Gesetz für die Gemeindeausgaben gewisse Höchstbeträge fest-
setzt — etwa den Beitrag der Gemeinden zu den Baukosten einer Kreisstraße auf ¼
bestimmt — an dieser Festsetzung etwas ändern.
b) So scheiden also alle Ausgaben, für welche das Gesetz einen anderen Schuldner
als die Gemeinde oder eine festbegrenzte Beitragspflicht der Gemeinde positiv bestimmt
hat, aus der Zuständigkeit des Kreisausschusses aus. Aber wichtiger noch: auch für
die Festsetzung solcher Ausgaben ist der Kreisausschuß unzuständig, bei welchem eine
gesetzliche Bestimmung des Schuldners ganz fehlt. Der Kreisausschuß kann den
Gemeinden nur solche Ausgaben zur Last legen, welche das Gesetz positiv
für Gemeindesache erklärt hat.
Sonach sind die Lasten der Gemeinde keineswegs ungemessen, und es ist durchaus
nicht in das freie Ermessen des Kreisausschusses gestellt, mit welchen Ausgaben er die
Gemeinde bedenken will. Das freie Ermessen des Kreisausschusses greift vielmehr nur
dann Platz, wenn das Gesetz gewisse Ausgaben den Gemeinden in unbestimmter Art
überwiesen hat. Denn gerade dann ist der Kreisausschuß dazu berufen, nach eigenem
Ermessen die vom Gesetz absichtlich gelassene Lücke zu ergänzen. Das gilt namentlich
dann, wenn das Gesetz über die Höhe der von der Gemeinde zu leistenden Ausgabe
nichts angeordnet hat oder wenn es die Ausgabe nur in ganz allgemeiner Fassung oder
nur bedingt, unter Berücksichtigung der konkreten Verhältnisse anbefiehlt.
Beispiel: das Gesetz legt die Volksschullast den Gemeinden auf. Der Kreisaus-
schuß ist es nun, der zu bestimmen hat, welche Einzelleistungen unter die Volksschul-
last fallen, ob z. B. das alte Schulgebäude umzubauen, neue Schulbänke anzuschaffen,
neben dem evangelischen auch ein katholischer Religionsunterricht einzuführen ist. Da-
gegen erklärt das Gesetz die Kosten der Realschulen nicht für eine Gemeindesache; es
legt sie freilich auch dem Staate nicht auf, sondern schweigt über die Person des Schuldners,
aber eben dies Schweigen ist zu Gunsten der Gemeinden auszulegen. Sonach kann der
Kreisausschuß keiner Gemeinde die Errichtung einer neuen oder die Weiterunterhaltung
einer alten Realschule aufzwingen.
Abweichend von dieser Regel ist die Stadt Bingen durch Urtheil des Verwaltungs-
gerichtshofs zur Forterhaltung ihrer Realschule thatsächlich genöthigt worden 1). Das
Urtheil ist wenig klar abgefaßt. Immerhin läßt sich wenigstens einer der von dem
Urtheil angeführten Gründe als richtig anerkennen: der Staat leistet auf Grund einer
mit der Stadt getroffenen Vereinbarung Zuschüsse zu der Schule, und hieraus läßt sich
1) 3. 4, S. 67.