Full text: Handbuch des Öffentlichen Rechts. Band III.1.4. Das Staatsrecht des Großherzogtums Hessen. (4)

l 55. Die Polizeibehörden. 101 
die Regierung befugt ist, die Anstellung eines besonderen Polizeikommissärs von Seiten 
der Gemeinde zu fordern; denn der Polizeikommissär ist Untergebener des Bürgermeisters 
und lediglich sein Gehülfe in Polizeisachen. Dagegen gibt es allerdings zwei wirkliche 
Ausnahmen von der Regel. Die Regierung kann nänlich erstlich die Polizei dem 
Bürgermeister ganz entziehen und einer staatlichen Behörde (Polizeiamt) übertragen; sie 
hat von diesem Rechte nur in Darmstadt, Gießen und Castel Gebrauch gemacht. 
Sie kann zweitens auf Präsentation der Standesherrn für deren Schlösser und selbständige 
Gemarkungen besondere Polizeibeamte ernennen 7). 
b) Der Inhalt der ortspolizeilichen Befugnisse ist nicht gleichmäßig bestimmt, 
sondern für die Land= und Stadtgemeinden verschieden bemessen. Dem ländlichen Bürger- 
meister sind nämlich nur gewisse minder wichtige oder nur an Ort und Stelle zu besorgende 
Angelegenheiten, z. B. die Ausstellung von Gesindedienstbüchern, das Meldewesen über- 
tragen; dagegen wird er im Uebrigen bloß auf Anweisung des Kreisamts, der Gerichte, 
der Staatsanwaltschaft polizeilich thätig; auch fehlt ihm das Recht, Polizeiverordnungen 
zu erlassen, und selbst zu Polizeiverfügungen, die mit einer Strafandrohung verbunden 
sind, ist er nur in einzelnen besonders bestimmten Fällen befugt; seine Stellung als 
Ortspolizeibehörde ist also zwar besser wie die des preußischen Gemeindevorstehers, aber 
nicht entfernt der des preußischen Amtsvorstehers zu vergleichen. Ganz anders der 
städtische Bürgermeister oder der an seine Stelle tretende staatliche Polizeibeamte; ihm 
ist die Baupolizei, die Feststellung der Polizeistunde, die Anordnung von Sicherungs- 
maßregeln gegen ansteckende Krankheiten, die Ausstellung von Reisepässen u. s. f. über- 
tragen; auch hat er das Recht, Polizeiverordnungen und polizeiliche Strafverfügungen 
zu erlassen?). 
c) Gegen polizeiliche Verfügungen des Bürgermeisters geht der Rekurs an das 
Kreisamt, und weiterer Rekurs an das Ministerium des Innern und der Justiz. Der 
Rekurs ist an eine Frist von 4 Wochen gebunden). 
d) Wird eine staatliche Ortspolizeiverwaltung eingesetzt, so trägt die Gehälter der 
Beamten der Staat. Das Gleiche gilt von den Kosten der Gendarmerie. Alle übrigen 
Kosten der Ortspolizei fallen dagegen den Gemeinden zur Last #). 
2. aà) Höhere Polizeibehörden sind die Kreisämter. Ihre Thätigkeit besteht, 
wie schon erwähnt, darin, daß sie als Vorgesetzte der Ortspolizei diese mit Anweisungen 
versehen können und für ihre Beschlüsse als Rekursinstanz dienen. Ferner können sie 
in dringenden Fällen alle der Ortspolizei überwiesenen Dienste selber vornehmen 5. 
Endlich sind eine ganze Reihe von Polizeigeschäften der Ortspolizei ganz entzogen und 
den Kreisämtern ausschließlich vorbehalten. Dies gilt für die Landgemeinden in dem 
Maß, daß man sagen kann, der Schwerpunkt der ganzen Polizei liege hier überhaupt nicht 
bei den Bürgermeistern, sondern bei den Kreisämtern; diese haben also nicht bloß die 
Geschäfte der preußischen Landrathsämter, sondern zugleich zum erheblichen Theil die 
Geschäfte der preußischen Amtsvorsteher zu besorgen. Aber auch in den Städten ist 
manches Geschäft, welches an sich ebenso gut der Ortspolizei überlassen werden könnte, 
ein Vorbehalt des Kreisamts, z. B. die Genehmigung der Feuerversicherungen 5). 
b) Bei Sicherheits= und sanitätspolizeilichen Maßregeln, die über den Bereich eines 
einzelnen Kreises hinausgehn?), tritt an Stelle des Kreisamts die Provinzialdirektion. 
1) St O. 57, LO. 53, 54. Standesherrl. Edikt 1858, Art. 22. 
2) St O. 55, 56. Min. Erl. v. 1. Febr. 1882. LO. 53. 
3) St O. 120, LO. 95. 4) St O. 57, LO. 54. 
5) KO. Art. 77. 6) KO. 77. 
.7) . KRO. 117, Edikt v. 12. Nov. 1860, § 2.
	        
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