Full text: Handbuch des Öffentlichen Rechts. Band III.1.4. Das Staatsrecht des Großherzogtums Hessen. (4)

102 Sechster Abschnitt: Landesverwaltung. 1. Die Polizeibehörden. § 55. 
3. Oberste Polizeibehörde ist das Ministerium des Innern und der Justiz. Auch 
ihr sind gewisse Polizeigeschäfte ausschließlich vorbehalten, z. B. regelmäßig die Zustim- 
mung zu Polizeiverordnungen, ferner die Ausweisung von Ausländern, deren Naturali- 
sation u. s. f. 
4. Den Polizeibehörden ist das nöthige Exekutivpersonal beizugeben. Und zwar 
müssen die Gemeinden das Personal auf ihre Kosten selbst beschaffen. Nur soweit die 
Kräfte dieses Personals nicht ausreichen — ein Fall freilich, der in Dörfern und auf 
dem platten Lande sehr oft eintreten wird — greifen ergänzend folgende Hülfs- 
kräfte ein: 
a) Das Gen darmeriekorpstl). Es ist militärisch organisirt und wird, 
was Disziplin und Gerichtsstand betrifft, wie ein Theil des Heeres behandelt. An der 
Spitze ein Kommandeur, unter ihm für jede Provinz ein Distriktsoffizier. Die Mannschaft 
wird aus Unteroffizieren, die mindestens 9 Jahr gedient haben, gebildet und vom Kom- 
mandeur angestellt; ihre Pensionierung ist die gleiche, wie bei den widerruflich angestellten 
Civilbeamten. Die Gendarmen schreiten auf Anweisung des Kreisamts ein; in gewissen 
Fällen kann auch die Staatsanwaltschaft und das Gericht ohne Vermittlung des Kreis- 
amts die Gendarmen unmittelbar zum Einschreiten veranlassen. In geeigneten Fällen 
können die Gendarmen nach Maßgabe ihrer Instruktion auch aus eigenem Antriebe ein- 
schreiten; doch ist dies in Orten, welche eine förmlich organisirte Polizeiverwaltung be- 
sitzen, nur im Nothfall zulässig, wenn die Ortspolizeibeamten nicht anwesend sind oder 
die Gendarmen um ihre Beihülfe ersuchen; und auch in den übrigen Ortschaften kann 
die Ortspolizei unter eigener Verantwortung den Gendarmen das Einschreiten unter- 
sagen. 
b) Die Sicherheitswache, eine Art dörflicher Miliz?). Sie besteht in jeder Ge- 
meinde aus allen Ortsbürgern von 26 bis 48 Jahr, Standesherren, Geistliche u. f. f. 
ausgenommen. Die Ortspolizei ruft die Wache im Bedürfnißfall ganz oder theilweise 
zusammen, z. B. zur Begleitung eines Verhafteten. Der Dienst ist unentgeltlich; doch 
liefert die Gemeinde die Waffen. Wer sich der Einberufung entzieht, wird bestraft. 
c) Im Bedürfnißfall kann die Polizei endlich auch das Militär um Hülfsleistung 
angehen, ja im Falle der Noth darf das Militär auch aus eigenem Antriebe einschreiten. 
Doch darf das Militär nur, wenn es dringend erforderlich ist, von der Waffe Ge- 
brauch machen, nämlich wenn es sich um die Abwehr von Angriffen oder um die Ueber- 
wältigung von Widerstand mittels Thätlichkeiten oder gefährlichen Drohungen handelt, 
oder zur Vereitelung der Flucht festgenommener Personen oder zum Schutz anvertrauter 
Personen oder Sachen oder wenn der Gegner zur Niederlegung der Waffen vergeblich 
aufgefordert ist. Bei Zerstreuung von Volksmengen ist erst eine dreimalige Aufforde- 
rung zu erlassen ). 
5. Daß beim Erlaß von Polizeiverordnungen auch die Stadtverordnetenversamm- 
lung und der Kreisausschuß mitwirkt, ist bereits oben S. 57 erwähnt. Im Uebrigen 
haben die Kommunalvertretungen an der Polizeiverwaltung keinen Antheil. 
6. Eine Veränderung der Zuständigkeit der Behörden tritt ein, wenn der Be- 
lagerungszustand erklärt wird. Zu dieser Erklärung ist in Hessen nur der 
Kaiser befugt"!). Die näheren Regeln dafür sind nicht hessisches Recht, sondern 
Reichsrecht. 
1) Bek. v. 23. Mai 1879 u. 14. Mai 1880. 
2) Ges. v. 21. Febr. 1824. 
3) Ges. v. 27. Nov. 1872. 
4) Laband, Staatsrecht 2, S. 542. Abw. G. Meyer, Verwaltungsrecht 1, S. 185.
	        
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