Full text: Handbuch des Öffentlichen Rechts. Band III.1.4. Das Staatsrecht des Großherzogtums Hessen. (4)

II. Kapitel. 
Vereine. Versammlungen. Presse. 
§ 56. 1. Das hessische Vereinsrecht beruht — von den Regeln des Reichsstraf- 
gesetzbuchs über die Vereine abgesehen — auf dem Beschlusse des Bundestages vom 
13. Juli 1854 „betr. Maßregeln zur Aufrechterhaltung der gesetzlichen Ordnung und 
Ruhe im deutschen Bunde“. Hier ist bestimmt, daß Vereine, die sich mit öffentlichen 
Angelegenheiten befassen, keine Lehrlinge, Minderjährige oder Schüler als Mitglieder auf- 
nehmen dürfen, ferner daß die Versammlungen solcher Vereine polizeilich überwacht und 
bei Versäumniß der vorgeschriebenen Förmlichkeiten, bei sonstigen Gesetzwidrigkeiten oder 
der Gefährdung der öffentlichen Sicherheit aufgelöst werden können. 
In der hessischen Verwaltungspraxis!) wird freilich „de facto der Beschluß kaum 
mehr gehandhabt“. Indeß kann seine Gültigkeit nicht bezweifelt werden; denn er ist im 
Auftrage des Großherzogs durch den Minister des Aeußern „zur Wissenschaft und Nach- 
achtung“ im hessischen Regierungsblatt verkündet und hat dadurch gemäß Verf. 2 Ge- 
setzeskraft erlangt. Allerdings ist hierzu die Zustimmung des Landtags nicht ertheilt; 
allein das ist nach dem hessischen Verfassungsrecht jener Zeit bei Beschlüssen des Bundes- 
tages auch nicht erforderlich gewesen?). 
2. Das Recht der Versammlungen zur Berathung über politische oder 
Privatinteressen kann nach dem Gesetze vom 16. März 1848 frei ausgeübt werden 5). 
Doch ist die Freiheit keine schrankenlose; denn es kann doch — um nur ein unpolitisches 
Beispiel zu nennen — die Polizei eine Versammlung, bei welcher ein lebensgefährliches 
Gedränge entsteht, nicht ruhig fortdauern lassen, und da das eben genannte Gesetz die 
Schranken, binnen welcher es wirken soll, gar nicht angegeben hat, so fehlt ihm überhaupt 
jeder juristisch verwerthbare Inhalt. Die Freigebung der Volksversammlungen — in so 
allgemeiner Fassung, wie in der des hessischen Gesetzes verkündet — ist also lediglich eine 
Redensart. Somit hat die Polizei das Recht, alle Maßregeln, die zur Wahrung der 
öffentlichen Sicherheit erforderlich sind, auch gegenüber Versammlungen anzuordnen. Ins- 
besondere kann sie eine Versammlung, welche die öffentliche Sicherheit dringlich gefährdet, 
nicht bloß auflösen, sondern auch im Voraus verbieten. Setzt doch auch Polizeistraf- 
gesetzbuch Art. 78 die Zulässigkeit eines solchen Verbots voraus, indem es die Ver- 
letzung des Verbots unter Strafe stellt; und hätte es wohl einen Sinn, daß die Ver- 
sammlung eines Bereins nach dem Bundestagsbeschluß von 1854 im Voraus ver- 
boten werden kann, eine wild einberufene Volksversammlung dagegen nicht? — 
Ebenso ist selbstverständlich erlaubt — weil nicht speziell verboten —, daß jede Ver- 
sammlung, wenn es im Interesse der öffentlichen Sicherheit für nöthig befunden wird, 
polizeilich überwacht wird. Vorherige Anmeldung der Versammlung ist nicht vor- 
geschrieben, kann aber — gleichfalls im Interesse der öffentlichen Sicherheit — im 
Einzelfall polizeilich verlangt werden #). 
3. Das Preßrecht richtet sich nach den Reichsgesetzen. Von hessischen Regeln 
sind nur die, welche das Plakatwesen betreffen, aufrechterhalten 5. 
1) Morneweg, Z. 15, S. 122. 
2) Weiß, S. 124, 487. 
3) Ges. v. 16. März 1848. Morneweg, Z. 15, S. 121, hält mit Unrecht dies Gesetz 
durch die (vorübergehende) Einführung der Frankfurter Grundrechte für aufgehoben. — Dagegen 
sind die Nothverordnungen v. 17. Sept. 1849 bzw. 4. Sept. 1852 über den Mißbrauch der Volks- 
versammlungen stets nur als vorübergehende Bestimmungen angesehen, und, obschon sie nicht aus- 
drücklich aufgehoben sind, jedenfalls „obsolet". 
4) So auch Morneweg, S. 122. Abw. Meisel ebenda S. 41, 131. 
5) Zeller 3. S. 51.
	        
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