Object: Handbuch des Öffentlichen Rechts. Band III.1.4. Das Staatsrecht des Großherzogtums Hessen. (4)

116 Sechster Abschnitt: Landesverwaltung. 4. Verw. in Bezug auf das wirthschaftl. Leben. 8 665. 
Rechnung betrieben: auch die Direktion wird deßhalb von den drei Staaten gemeinsam 
besetzt. 2) Die Main-Weserbahn wird allein von Preußen für preußische Rech- 
nung betrieben 1). Hessen hat sich nur die Landeshoheit über die Bahn vorbehalten, 
weßhalb auch die mit Ausübung der Bahnpolizei betrauten preußischen Bahnbeamten 
von den hessischen Behörden in Pflicht zu nehmen sind. Ein Einfluß auf Tarife und 
Fahrpläne steht Hessen nicht zu. Auch ein Recht auf Rückerwerb hat Hessen nicht, son- 
dern nur ein Vorkaufsrecht. 
b) Die hessische Ludwigsbahn gehört einer Aktiengesellschaft. Für 
sie sind die ihr staatlich ertheilen Konzessionen entscheidend. Die Konzessionen find — ganz 
abgesehen davon, daß ein Theil der hessischen Ludwigsbahn auf preußischem Gebietes) 
liegt und deßhalb nach den besonderen preußischen Konzessionen und dem preußischen Eisen- 
bahngesetze zu beurtheilen ist (namentlich die Strecke Frankfurt-Limburg und Wiesbaden- 
Niedernhausen) — unter sich verschieden, und jede Konzession ist immer nur für eine be- 
stimmte Strecke gültig. Eine besonders wichtige Verschiedenheit ist, daß der hessische 
Staat für eine ganze Reihe von Strecken (nämlich für Mainz-Alzey-Bingen, Armsheim- 
Flonheim, Monsheim-Wachenheim-Grenze, Monsheim-Hohensülzen-Grenze, Alzey-Walheim- 
Grenze, Worms-Bensheim, Darnstadt-Erbach, Babenhausen-Heubach mit zusammen 
185 Kilometer Länge) der Ludwigsbahn einen Mindestreinertrag von 28 000 Fl. auf 
die Meile gewährleistet hat; da diese Strecken durchweg schlecht rentabel sind, hat 
der Staat alljährlich auf Grund seiner Gewährleistung erhebliche Zuschüsse an die 
Bahn zahlen müssen, während die Bahn umgekehrt auf den gut rentirenden Strecken 
den Reinertrag ungeschmälert für sich behält. Dagegen gilt für alle Strecken gemeinsam 
der Satz, daß der hessische Staat sich das Aufsichtsrecht über den Bau und Betrieb der 
Bahn vorbehalten hat und demgemäß auch die Tarife der Bahn entscheidend beeinflussen 
kann, daß ferner die Aufnahme von Prioritätsanleihen der staatlichen Zustimmung 
bedarf u. s. f. 
Am wichtigsten ist die Frage, inwieweit Hessen die Ludwigsbahn zu „verstaatlichen“ 
befugt ist. 
a) Die Konzessionen der Bahn laufen meist nach 90 Jahren ab. Alsdann ist der 
Staat befugt, gegen Erstattung der Anlagekosten, welche durch Abschätzung festzustellen sind, 
diejenigen Linien, deren Konzession erloschen ist, zu erwerben. Eine nähere Erörterung 
dieses Erwerbsrecht ist überflüssig, da die Erwerbsfrist noch lange nicht abgelaufen ist, 
und diese Art des Erwerbs voraussichtlich niemals praktisch werden wird. 
6) Außerdem ist der Staat befugt, die Bahn schon vor Ablauf der Konzessionen 
zu erwerben, und zwar den größten Theil der Bahnstrecken 1893, einzelne Strecken?) 
dagegen erst nach dem 3. August 1900. Dabei darf aber der Staat den Erwerb nicht 
auf einzelne ihm besonders wünschenswerthe Strecken beschränken, sondern er muß ent- 
weder sämmtliche hessischen Strecken oder doch sämmtliche in einer Provinz belegenen 
Strecken zusammen erwerben. Als Erwerbspreis muß der Staat das Zwanzigfache des 
in den letzten 5 Jahren auf der zu erwerbenden Strecke durchschnittlich erzielten Rein- 
ertrages an die Ludwigsbahn zahlen. Da dies Erwerbsrecht gerade gegenwärtig von 
hervorragender praktischer Bedeutung ist, muß hier näher darauf eingegangen werden ?0. 
1) Der Vertrag ist abgedruckt Reg. Bl., 1880, S. 25. 
2) Einzelne Strecken liegen übrigens auch auf bayrischem (Grenze bis Aschaffenburg) und 
badischem Gebiete. 
3) Nämlich die Strecke Frankfurt-Lampertheim (ausgenommen das zur Riedbahn gehörige 
schon 1893 erwerbbare Stück Biblis-Erfelden) und die Strecke Hanau-Eberbach (ausgenommen das 
gleichfalls bereits 1893 erwerbbare Stück Babenhausen-Erbach). 
4) Die Verstaatlichung der Ludwigsbahn ist in einem Gutachten von Laband gründlich
	        
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