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Jede Konzessionsertheilung an die hessische Ludwigsbahn ist unzweifelhaft ein Akt
des öffentlichen Rechts gewesen. Wenn nun der Staat bei Ertheilung oder gelegentlich
einer späteren Aenderung der Konzession das Recht des Erwerbes der Eisenbahn für sich
festsetzte, so muß eine solche Festsetzung als integrirender Theil der Konzession angesehen
werden und ist deßhalb gleichfalls ein Akt des öffentlichen Rechts. Zug um Zug in—
dem der Staat kraft seiner Staatshoheit die Konzession ertheilte oder abänderte, hat
er kraft der nämlichen Staatshoheit jener Konzession die Bedingung zugefügt, daß er
befugt sein solle, die Bahn unter Einhaltung gewisser Fristen zu erwerben. Und er
hat dies nicht als Fiskus gethan, in Verfolgung rein finanzieller Zwecke; es liegt also
kein Akt der Finanzverwaltung vor. Sondern der Staat hat es in Verfolgung einer
Reihe öffentlichrechtlicher Zwecke gethan, vor Allem um die Leitung des öffentlichen Ver-
kehrs in Hessen nicht für unabsehbare Zeit aus der Hand zu geben.
Man darf also die Festsetzung des staatlichen Erwerbsrechts nicht auf einen Kauf-
vertrag, genauer auf ein pactum de emendo zwischen Staat und Bahngesellschaft
zurückführen. Freilich hat die Festsetzung wirthschaftlich mit einem pactum de
eemendo große Aehnlichkeit, und es ist deßhalb begreiflich, daß selbst die Regierung das
Erwerbsrecht gelegentlich als ein Ankaufsrecht bezeichnet hat. Juristisch liegt aber
der wesentliche Unterschied vor, daß das pactum de emendo ein privatrechtlicher Ver-
trag ist, während die Festsetzung des staatlichen Erwerbsrechts, wie gezeigt, ein staats-
rechtlicher Akt gewesen ist.
Hieran ändert nichts, daß der Staat sich das Erwerbsrecht nicht bloß für das
Recht des Eisenbahnbetriebes, sondern auch für das Eisenbahnunternehmen selbst, den
Bahnkörper, den Wagenpark u. s. f., also für eine Unzahl beweglicher und unbeweg-
licher Sachen, die zur Zeit zweifellos im Privateigenthum der hessischen Ludwigsbahn
stehen und nunmehr in das fiskalische, also gleichfalls privatrechtliche Eigenthum des
Staats übergehen sollen, ausbedungen hat. Denn solche privatrechtlichen Eigenthums-
änderungen kommen als Folge öffentlichrechtlicher Akte sehr oft vor, ohne daß deßhalb
der Akt aufhört, dem öffentlichen Rechte anzugehören. Wenn z. B. der Staat eine zoll-
pflichtige Sache wegen Zollhinterziehung mit Beschlag belegt, erwirbt er ein privates
Pfandrecht an der Sache, und wenn, was sehr gut denkbar, eine gollpflichtige Sache
konfiszirt wird, so erwirbt der Staat sogar Eigenthum daran, und doch wird deßhalb
die Beschlagnahme oder die Konfiskation keineswegs zu einem Privatrechtsakt. Das
Nämliche gilt, wenn das Reich im Kriegsfall seinen Pferdebestand durch Zwangsaushebung
ergänzt oder wenn ein Staat, um sich den Kohlen= oder Salzbezug zu angemessenem
Preise zu sichern, bestimmte Kohlenbergwerke oder Salzquellen zu seinen Gunsten enteignet.
Endlich ändert an der öffentlichrechtlichen Natur des staatlichen Erwerbsrechts
auch der Umstand nichts, daß sich der Staat und die hessische Ludwigsbahn 3 zuvor
über dessen Bedingungen geeinigt haben. Mag sein, daß man diese Einigung als Ver-
trag bezeichnet. Aber es giebt auch Verträge des öffentlichen Rechts. Wird z. B. eine
Zoll= oder Steuerforderung des Reichs dadurch zu einer Privatrechtsforderung, daß das
Reich und der Schuldner sich über ein Zoll= oder Steueraversum einigen? * Wird das
Staatsaufsichtsrecht über die Eisenbahn, z. B. das Recht, die Tarife der Eisenbahn
zu ermäßigen, dadurch zu einem Privatrecht, daß Staat und Eisenbahn bei Ertheilung
behandelt, und die folgende Darstellung knüpft zum Theil zustimmend, zum größeren Theil wider-
sprechend an dies Gutachten an. Da indeß Laband's Gutachten nur als Manusfkript gedruckt ist, habe
ich mich nicht für befugt gehalten, ausdrückliche Citate daraus zu entnehmen. Ein anderes Gutachten
über den gleichen Gegenstand ist von Georg Meyer erstattet; es ist mir nicht zugänglich gewesen.