118 Sechster Abschnitt: Landesverwaltung. 4. Verw. in Bezug auf das wirthschaftl. Leben. 8 65.
der Konzession oder nachträglich das Aufsichtsrecht selbst und bestimmte Beschränkungen
des Aufsichtsrechts vertragsmäßig vereinbaren?
Schließlich ist auch der Einwand nicht durchschlagend, daß in zahlreichen Fällen
der Staat — man denke an Preußen und wegen der oberhessischen Eisenbahn auch an
Hessen — die in seinem Gebiete belegenen Eisenbahnen thatsächlich durch einen privat-
rechtlichen Vertrag gekauft hat. Denn das dies zulässig ist, will ich selbstverständlich
nicht bestreiten. Kommt es doch auch sonst oft genutz vor, daß der Staat die Wahl
hat, ob er irgend einen Staatszweck durch privatrechtlichen Vertrag oder durch öffent-
lichrechtlichen Akt erreichen will; so kann er z. B. einen Staatsbau an einen Unter-
nehmer privatrechtlich verdingen, aber auch die Ausführung einfach seinen angestellten
Staatsbaumeistern übertragen. Es kommt eben auf die Art an, in welcher der Staat
seine Zwecke zu erreichen sucht. Er kann durch freie Verhandlung, wie eine Privat-
person mit der anderen verkehrt, die Eisenbahn kaufen und auch in gleicher Art sich
im Voraus ein Ankaufsrecht sichern. Er kann aber auch als Staat auftreten und
kraft seiner Staatshoheit neben anderen Bedingungen der Eisenbahnkonzession auch ein
Erwerbsrecht an der Eisenbahn für sich festsetzen. Und ich behaupte, daß der hessische Staat
den letzteren Weg eingeschlagen hat, daß also die Festsetzung des staatlichen Erwerbs-
rechts nicht auf einem der Konzession beigefügten privatrechtlichen Nebenvertrage, son-
dern auf der Konzession selbst, auf integrirenden Theilen der Konzession beruht.
Hieraus ergibt sich die überaus wichtige Folgerung: wenn über den Erwerb der
Bahn seitens des Staats Streitigkeiten zwischen Regierung und Aktiengesellschaft ent-
stehen sollten, so ist der Rechtsweg ausgeschlossen. Nicht also die Gerichte sind es, die
darüber zu entscheiden haben, ob der Staat schon 1893 die Strecke Frankfurt-Lampert=
heim mit Ausnahme der Theilstrecke Biblis-Erfelden erwerben darf, oder ob er bis 1900
warten muß, wo auch sein Erwerbsrecht an dieser letztgenannten Theilstrecke in Kraft
tritt, ferner ob die Erneuerungsfonds der Bahn, die angesammelten Kohlenvorräthe, die
Direktionsgebäude u. dgl. mit auf den Staat übergehen, sondern zur Entscheidung dieser
Frage ist die Staatsregierung selber berufen. Die Staatsregierung wirkt dabei freilich
als Richter in eigener Sache. Aber sie thut das ja in tausend anderen Fragen des
öffentlichen Rechts in gleicher Weise: erst eine verhältnißmäßig junge Rechtsentwicklung
ist es, auch für Streitigkeiten des öffentlichen Rechts unabhängige Behörden einzusetzen,
und daß für den so besonders gearteten, in Hessen jetzt zum ersten Mal vielleicht
praktisch werdenden Fall der Zwangsverstaatlichung einer Eisenbahn eine solche unab-
hängige Behörde nicht im Voraus eingesetzt ist, wird Niemanden Wunder nehmen. Ein
Fehlschuß wäre es jedenfalls, um deßwillen, weil eine für Eisenbahnverstaatlichungen
zuständige unabhängige Behörde in Hessen zur Zeit fehlt, die einschlagenden Streitsachen
trotz ihres öffentlichrechtlichen Charakters einfach den Gerichten zu überweisen, und so die
Gerichte gewissermaßen als Lückenbüßer zu benutzen. Allein richtig ist es vielmehr, die
Lücke der bisherigen Gesetze durch ein neues Sondergesetz ') zu ergänzen, und zwar würde
es dem Geiste der positiven hessischen Gesetzgebung sicher entsprechen, wenn dies
Sondergesetz die Streitsachen der Eisenbahnverstaatlichung dem Ministerium des Innern
und der Justiz als Kollegium übertragen würde. Den Verdacht, daß die ordentlichen
Gerichte, welche sich ja vielleicht der entgegengesetzten Meinung anschließen und den Rechts-
weg für zulässig erklären könnten, durch ein solches Sondergesetz absichtlich mundtodt ge-
1) Die Regierung könnte diesen Gerichtshof auch durch Verordnung einsetzen; ein Sonder-
gesetz ist nicht nöthig; nur schiene ein Sondergesetz mir zweckmäßig, um in dieser wichtigen Frage
auch die Landstände zum Wort kommen zu lassen.