Full text: Handbuch des Öffentlichen Rechts. Band III.1.4. Das Staatsrecht des Großherzogtums Hessen. (4)

865. Eisenbahnen. 119 
macht würden, braucht der Gesetzgeber nicht zu scheuen, falls er selber nach seiner pflicht- 
mäßigen Ueberzeugung den Rechtsweg für ausgeschlossen hält: der Gesetzgeber steht über 
den Gerichten und braucht sich von ihnen nicht darüber belehren zu lassen, was Recht 
ist. Anders natürlich, wenn die gesetzgebenden Organe die Frage des Rechtswegs zweifel- 
haft finden; dann thun sie gut, erst die gerichtliche Entscheidung abzuwarten, und haben, 
wenn diese den Rechtsweg ausschließt, nachträglich immer noch Zeit, einen Sonder- 
gerichtshof einzusetzen. . 
Nur eine Frage ist den ordentlichen Gerichten nicht vorzuenthalten: die Höhe der 
vom Staat an die Ludwigsbahn zu zahlenden Entschädigung. Zwar hat die Ent— 
schädigungspflicht des Staats ihre Wurzel gleichfalls im öffentlichen Rechte. Ich halte 
es deßhalb für sehr bedauerlich, daß die Entschädigungsfrage den Gerichten überwiesen 
werden muß; denn unsere Gerichte sind nun einmal von einem einseitig privatrechtlichen 
Geiste beherrscht und benachtheiligen bei der Bemessung der Entschädigungen in Enteignungs- 
sachen das öffentliche Interesse oft genug, da sie fast immer nur darauf bedacht sind, 
jeden denkbaren Zweifel zu Gunsten des Entschädigungsberechtigten zu verwerthen. Das 
geltende positive Recht hat sich aber diesen Erwägungen verschlossen; es hat den Ent- 
schädigungsanspruch als reine Privatrechtsforderung behandelt und ihn den Gerichten 
zur Entscheidung überwiesen. Das gilt, soweit ich sehe, nach sämmtlichen deutschen 
Enteignungsgesetzen, jedenfalls nach dem älteren hessischen Enteignungsgesetz von 1821 
und nach dem neueren von 1884. Das gilt auch nach dem Reichsrecht für den Fall, 
daß eine Gewerbekonzession im öffentlichen Interesse zurückgenommen wird"). Wenn 
also der Staat ausnahmsweise einen Entschädigungsanspruch von der hier besprochenen Art 
der Zuständigkeit der Gerichte entziehen will, so muß er eine besondere gesetzliche Be- 
stimmung 2) dafür schaffen. Da nun in Hessen eine solche besondere gesetzliche Bestim- 
mung für den Fall der Eisenbahnverstaatlichung fehlt, so muß es bei der Zuständigkeit 
der Gerichte für die Entscheidung der Entschädigungsfrage sein Bewenden behalten. 
Immerhin ist die Zuständigkeit der Gerichte durchaus auf die Entschädigungsfrage 
zu beschränken. Daraus folgt ein doppeltes. 
Einmal kann die Regierung, sobald sie erklärt, von ihrem Erwerbsrecht Gebrauch 
machen zu wollen, sich eigenmächtig in den Besitz derjenigen Strecke sammt Zu- 
behör setzen, welche sie erwerben will; sie bedarf dazu der Beihülfe der Gerichte nicht; 
sie geht im Wege des Verwaltungszwangsverfahrens vor. Ihre Legitimation dazu kann 
gemäß KO. Art. 80 nicht bestritten werden 3), sobald man nur das staatliche Erwerbs- 
recht als ein öffentliches Recht und damit die Pflicht der Aktiengesellschaft, ihre Bahn 
dem Staate zu überlassen, als „eine Verbindlichkeit des öffentlichen Rechts“ anerkennt; 
denn Art. 80 besagt: der Kreisrath bleibt auch ferner befugt, die Erfüllung solcher 
Verbindlichkeiten des öffentlichen Rechts, für deren Vollzug ein besonderes Verfahren 
nicht vorgeschrieben ist, zu erzwingen.“ Die Zwangsmittel, die dem Kreisrath hierzu zu 
1) Gewerbeordn. § 51. 
2) So z. B. bei der Aushebung von Mobilmachungspferden im Kriege, wo die Entschädi- 
gung durch Sachverständige „endgültig“ festgestellt wird (R.Ges. v. 13. Juni 1873, § 25) oder bei 
der Aufhebung ausschließlicher Handels= und Gewerbsprivilegien, wo die Entschädigungsfrage zur 
Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte gehört (Hess. Ges. v. 15. Septemb. 1851, KO. 48 I, 9) 
3) Man darf ein solches Zwangsverfahren nicht als einen brutalen Mißbrauch der phyfischen 
Uebermacht des Staats auffassen. Es ist um nichts brutaler, als wenn z. B. die Polizei eine den 
Einsturz drohende Mauer gewaltsam abreißen läßt, oder wenn der Steuerexecutor dem Steuer- 
schuldner gewaltsam die Steuern abnimmt, oder wenn der Schutzmann eine Person, die den Bürger- 
steig sperrt, gewaltsam entfernt. Die Staatsgewalt braucht eben da, wo sie Ansprüche des öffent- 
lichen Rechts geltend macht, nicht erst zu „klagen“. · 
 
	        
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