138 Sechster Abschnitt: Landesverwaltung. 5. Verwaltung mit Bezug auf das geistige Leben. § 78.
4. Alle kirchlichen Verordnungen sind gleichzeitig mit der Verkündung der Regie-
rung zur Kenntniß mitzutheilen; in Beziehung auf bürgerliche und staatsbürgerliche
Verhältnisse gelten sie erst, wenn sie die Genehmigung des Staats erhalten
haben. Geistliche und sonstige Beauftragte der Kirche, welche diese Regeln verletzen,
verfallen in Geldstrafe bis 600 Mark, Haft oder Gefängniß bis zu einem Jahr, in
Wiederholungsfällen in Geldstrafe bis 1500 Mark oder Gefängniß bis zu zwei Jahren 7.
5. Für die Anstellung von Geistlichen in einer der christlichen Kirchen gelten
folgende Regeln?).
a) Der Anzustellende — mag es sich auch nur um eine widerrufliche Anstellung
oder um eine Anstellung als Gehülfe oder Stellvertreter handeln — muß deutscher
Staatsangehöriger sein und die gesetzlich vorgeschriebene Ausbildung erhalten haben.
Letztere besteht in der Ablegung der Reifeprüfung auf einem deutschen Gymnasium und
dreijährigem theologischem Studium an einer deutschen Staatsuniversität oder einem
hessischen von der Regierung für genügend erklärten kirchlichen Seminar; von dem Er-
forderniß des dreijährigen Studiums kann das Ministerium des Innern und der Justiz
ausnahmsweise dispensiren. Ein Staats= oder Fakultätsexamen, wie es das Gesetz vom
23. April 1875 vorschrieb, wird nicht mehr gefordert. Die Landesuniversität Gießen
besitzt keine katholisch-theologische Fakultät, gibt also zum Studium der katholischen
Theologie keine Gelegenheit.
b) Kirchliche Knabenseminare sind nicht zulässig. Dagegen können die Kirchen,
wie bereits erwähnt, Kirchenseminare, außerdem Anstalten zur theologisch-praktischen
Vorbildung künftiger Geistlicher und Alumnate oder Konvikte für Zöglinge, welche
Gymnasien oder Kirchenseminare besuchen, einrichten. Die Leiter und Lehrer an diesen
Anstalten müssen Deutsche sein; ihre Namen sowie die Anstaltsstatuten und die Vor-
schriften über die Hausordnung sind der Regierung anzuzeigen. Für die kirchlichen
Seminare, wenn das Studium bei ihnen als Ersatz für das Universitätsstudium an-
erkannt werden soll, ist außerdem vorgeschrieben, daß ihr Lehrplan dem Lehrplan
deutscher Staatsuniversitäten gleichartig sein soll, und daß die Lehrer die wissenschaftliche
Befähigung besitzen müssen, an einer deutschen Staatsuniversität in der Disziplin zu
lehren, für welche sie am Seminar angestellt sind. Ueber alle kirchlichen Bildungs-
anstalten übt der Staat das gleiche Aufsichtsrecht, wie über alle anderen Bildungs-
anstalten.
J) Die obere kirchliche Behörde muß die Person, welcher ein Kirchenamt dauernd
übertragen werden soll, dem Ministerium des Innern und der Justiz unter Bezeichnung
der Stelle, für welche sie ausersehen ist, anzeigen; das gleiche gilt bei Versetzung eines
Geistlichen in ein anderes Kirchenamt. Binnen vier Wochen kann das Ministerium
gegen die beabsichtigte Anstellung Einspruch erheben, wenn der Anzustellende aus einem
auf Thatsachen beruhenden Grunde, welcher dem bürgerlichen oder staatsbürgerlichen
Gebiete angehört, für die Stelle nicht geeignet ist: die Thatsachen, welche den Einspruch
begründen, sind anzugeben. — Uebersteigt die Dauer der Verwesung eines Kirchen-
amts die Frist von sechs Monaten, so hat die obere kirchliche Behörde sich mit dem
Ministerium in Betreff etwaiger Anstände gegen die Person des Verwesers ins Be-
nehmen zu setzen.
d) Der angestellte Kirchenbeamte muß, bevor er sein Amt übernimmt, den Ver-
fassungseid leisten.
4 Ebenda Art. 5. Ges. betr. den Mißbrauch der geistl. Amtsgewalt v. 28. April 1875,
Art. 12.
2) Ges. v. 5. Juli 1887.