Full text: Handbuch des Öffentlichen Rechts. Band III.1.4. Das Staatsrecht des Großherzogtums Hessen. (4)

z 78. Rirchenstaatsrecht. 141 
sterium erbitten. Doch ist das Einspruchsrecht der politischen Gemeinde kein absolutes; 
vielmehr hat Kreisamt und Ministerium frei zu prüfen, welches Gewicht es dem Ein- 
spruche beilegen will. Bei Steuern, welche auf die gesammte Religionsgemeinschaft 
gelegt werden, fällt die Anhörung der politischen Gemeinde und ihr Rekursrecht!) 
ganz fort. 
Das Ministerium des Innern und der Justiz bestimmt für jede Kirchengemein- 
schaft besonders, ob und wann sie das eben entwickelte Besteuerungsrecht erlangt. Einst- 
weilen ist die Bestimmung nur zu Gunsten der evangelischen Kirche ergangen. 
10. Den Angehörigen jeder Religionsgemeinde steht der Austritt?) jederzeit frei, 
ohne daß sie zum Uebertritt in eine andere Kirche verpflichtet wären. Für Kinder, die 
unter 14 Jahre alt sind, kann derjenige, welcher über ihre religiöse Erziehung zu be- 
stimmen hat, den Austritt erklären, also regelmäßig der Vater, bei vaterlosen Kindern 
die Mutter; wird diese Erklärung nicht abgegeben, so bleiben die Kinder in ihrer bis- 
herigen Religionsgemeinschaft, selbst wenn beide Eltern die Religion wechseln. 
Die Formen, welche zu beobachten sind, um den Austritt kirchlich wirksam zu 
machen, und die Art der kirchlichen Wirkungen setzt jede Kirche selbst fest. Dagegen 
hat das Gesetz folgende Regeln über die bürgerlichen Wirkungen des Austritts auf- 
gestellt. 
a) Wer aus einer mit Korporationsrechten begabten Religionsgemeinschaft austritt, 
ohne zu einer andern gleichfalls korporativen Gemeinschaft überzutreten — mag er ganz 
unkirchlich sein oder sich irgend einer korporationslosen Gemeinde anschließen — muß 
seinen Austritt zunächst bei dem Amtsgericht beantragen und demnächst nach frühestens 
4 und spätestens 6 Wochen die endgültige Austrittserklärung mündlich zu gerichtlichem 
Protokoll abgeben. Das Gericht muß sowohl den Antrag wie die Austrittserklärung 
der alten Religionsgemeinschaft mittheilen. Wird diese Form nicht beobachtet, so ist 
der Austritt ohne jede bürgerliche Wirkung; das gilt nicht bloß für die Steuern, die 
der formwidrig Ausgetretene seiner bisherigen Kirche zu zahlen hat, sondern z. B. auch 
für die Frage, in welcher Konfession die Kinder des Ausgeschiedenen zu erziehen sind. 
Ist dagegen der Austritt formgerecht erklärt, so wird er auch in bürgerlicher Beziehung 
wirksam. Und zwar regelmäßig sofort. Nur die Befreiung von Kirchensteuern tritt erst 
nach Ablauf gewisser Fristen ein. 
Die Steuerpflicht dauert nämlich bis zum Ende des Kalenderjahres, wenn der 
Austritt noch in dessen erster Hälfte erklärt ist, sonst bis zum Ende des nächsten 
Kalenderjahres. Ist im Laufe des Austrittjahres ein kirchlicher außerordentlicher Bau 
als nothwendig festgestellt, so dauert die Beitragspflicht zu den Baukosten sogar noch 
zwei Jahre. Läßt endlich der Ausgetretene seinen Kindern Volksschulunterricht in seiner 
bisherigen Religion geben, so dauert seine Steuerpflicht für die ganze Zeit dieses Unter- 
richts fort. 
b) Tritt Jemand aus einer korporativen Religionsgemeinschaft zu einer anderen 
korporativen Religionsgemeinschaft über, so ist eine gerichtliche Erklärung des Austritts 
aus der alten Kirche in der zu a) genannten Art gleichfalls nöthig, um die Steuer- 
pflicht des Ausgeschiedenen gegenüber seiner alten Kirche aufzuheben. Dagegen ist für 
die sonstigen bürgerlichen Wirkungen des Religionswechsels eine gerichtliche Austritts- 
erklärung nicht nöthig, sondern es genügen die kirchlich anerkannten Formen des Reli- 
gionswechsels, z. B. der Empfang des Abendmahls in den Formen der neuen Kirche. 
1) Entsch. d. Verw.G.'s, Z. 5, S. 60. 
256. 8 2 Ges. v. 10. Sept. 1879. A. Schmidt, Austritt aus der Kirche (1893), S. 46, 205, 
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