8 Zweiter Abschnitt: Staat und Staatsverfassung. 1. Staatsoberhaupt. 83.
geraume Zeit hindurch war der Ertrag der Domänen kleiner wie die Civilliste; der
Großherzog hätte sich also in Konsequenz der von der Regierung aufgestellten Regel eine
Civilliste gefallen lassen müssen, die kleiner war, wie der wirkliche Bedarf des Hofhalts.
Deßhalb läßt sich dann auch daraus, daß die Domäneneinkünfte neuerdings wesentlich
gestiegen sind, kein Grund ableiten, um auch die Civilliste zu erhöhen; nur insoweit
die Steigerung der Domäneneinkünfte auf einer Preissteigerung der Domänenprodukte
beruht, bedeutet sie zugleich eine VBertheuerung der Lebensmittel, der Löhne u. s. f., hängt
also mittelbar zugleich mit einer Steigerung des Hofhaltbedarfs zusammen; insoweit läßt
sich also die Steigerung der Domäneneinkünfte als ein Symptom derjenigen Verhält-
nisse, welche eine Steigerung des Hofhaltbedarfs und damit der Civilliste herbeiführen,
in der That anführen. Doch ist dieser Zusammenhang zwischen Domäneneinkünften und
Civilliste ein sehr mittelbarer. Daran ändert auch der Satz der Verfassung nichts, daß
die Civilliste auf die Domäneneinkünfte „vorzugsweise radizirt“ sei; denn diese
Radizirung bedeutet nur eine „Anweisung“ der Civilliste auf die Domäneneinkünfte,
welche etwa die Wirkung einer Revenüenhypothek hat; sowenig wie die Civilliste ausfällt,
wenn die Domäneneinkünfte zu ihrer Deckung unzureichend sind, sowenig wächst die
Civilliste an, wenn die Domäneneinkünfte im Steigen begriffen sind.
Der Großherzog hat über die Verwendung der Civilliste frei zu bestimmen und
ist Niemandem Rechenschaft darüber schuldig.
b) Zu den beiden dem Großherzoge oder dem großherzoglichen Hause durch die
Verfassung überwiesenen Vermögensrechten treten noch einzelne in der Verfassung
nicht erwähnte, zum Theil auch erst nach Erlaß der Verfassung entstandene Ansprüche.
a) Gewisse Güter gehören als Familienfideikommiß dem großherzoglichen Hause
nicht bloß zu Eigenthum, sondern so daß auch die Verwaltung und Nutzung nicht dem
Staate überlassen ist, vielmehr dem Großherzoge zusteht. Dies ist der Fall bei den
Schatull= und Kabinetsgütern Kranichstein, Braunshardt, Seeheim, Romrod u. s. f., vor
allem aber bei den beiden großen in der preußischen Provinz Sachsen belegenen Domänen
Hötensleben und Oebisfelde; diese beiden Domänen gehörten vormals dem Landgrafen
von Hessen-Homburg, fielen beim Aussterben der Homburgischen Linie 1866 an Darm-
stadt und sind, als Hessen-Oomburg demnächst an Preußen abgetreten wurde, dem Groß-
herzog von Hessen belassen worden.
6) Alle fälligen Raten der Civilliste, sowie aller Erwerb, den der Großherzog
privatrechtlich macht, bildet sein freies Privateigenthum.
6. Sonstige Vorrechte des Großherzogs sind namentlich die Befreiung von der
Wehrpflicht, der Pflicht zur Quartierleistung, zur Vorspannleistung im Frieden, zur
Pferdestellung für militärische Zwecke, die Befreiung von der Zollpflicht bezüglich aller
für den Hofhalt bestimmten Gegenstände, sowie von gewissen Landessteuern, endlich die
Portofreiheit in persönlichen und Vermögensangelegenheiten, ausgenommen bei Stadtpost-
sendungen 1).
§ 3. b. Erwerb und Verlust der Regierungsgewalt. Der Erwerb geschieht aus-
schließlich durch Erbgang.
I. Die Erbfolge-Ordnung ist durch die Verfassung Art. 5 festgesetzt; zur Ergänzung
verweist die Verfassung auf ein „Hausgesetz“, welches aber bis jetzt nicht erlassen ist.
Die Erbfolgeordnung kann durch ein die Verfassung änderndes Gesetz jederzeit ab-
geändert werden, ohne daß es der Zustimmung derjenigen Personen bedarf, deren Thron-
1) R.Ges. vom 9. Nov. 1867, § 1, v. 25. Juni 1868, § 4, v. 13. Febr. 1875, § 3, vom
13. Juni 1873, § 25. — Zollvereinsvertrag v. 8. Juli 1867, Art. 15, v. 5. Juni 1869, §§ 1, 3
und unten Abschn. IV.