40 Zweiter Abschnitt: Staat u. Staatsverfassung. 4. Die Behörden u. ihr Verfahren. 8 17.
setzungen fortfallen. Nämlich einmal dann, wenn sich aus der Klagschrift selbst oder
aus früheren Akten ergiebt, daß der Klaganspruch unzweifelhaft unbegründet ist. Zweitens
dann, wenn die Klage gegen eine öffentliche Behörde geht und sowohl diese Behörde als
das Verwaltungsgericht die mündliche Verhandlung für unnöthig halten. In beiden Fällen
muß aber die mündliche Verhandlung dennoch stattfinden, sofern es der Kläger binnen
zehntägiger Frist fordert. In der Rekursinstanz fällt beim Provinzialausschuß die
mündliche Verhandlung nur fort, wenn beide Parteien es beantragen.
Jc) Anders wie im Civilprozeß gilt die Verhandlungsmaxime nicht. Vielmehr hat
der Gerichtshof alle erheblichen Thatsachen von Amtswegen festzustellen. Doch darf er
bei seiner Entscheidung nicht über den vor ihn gebrachten Gegenstand und nicht über
den Kreis der in der Verhandlung vertretenen Parteien hinausgehen; indeß kann er
solche Betheiligte, deren Interesse durch das Verfahren mit berührt wird, von Amtswegen
beiladen und kann alsdann seine Entscheidung auch diesen Betheiligten gegenüber treffen.
d) Die Beweisaufnahme braucht nicht vor dem Gerichte stattzufinden, sondern
kann auch durch einzelne Mitglieder oder andere Behörden erfolgen. Zeugen= und Sach-
verständigenzwang ähnlich dem Civilprozeß. Ueber das Ergebniß der Beweisaufnahme
entscheidet das Gericht nach seiner freien Ueberzeugung; deßhalb sind zwar richterliche,
nicht aber zugeschobene Parteieide für zulässig zu erachten ½.
e) Anders wie im Civilprozeß gilt die Versäumnißmaxime nur mit der Ab-
schwächung, daß beim Ausbleiben der Parteien nach Lage der Akten zu entscheiden ist
(Art. 59) .
f) Kein Anwaltszwang; doch können die Betheiligten sich durch Anwälte oder
sonstige Bevollmächtigte vertreten lassen.
8) Das Urtheil ist schriftlich abzufassen, mit Gründen zu versehen und den Parteien
zuzustellen 5).
h) Im Namen des Kreisausschusses kann der Kreisrath in dringlichen Fällen vor-
läufige Verfügungen erlassen. Die Verfügungen sind vom Kreisausschuß alsbald zu
prüfen und zu genehmigen oder aufzuheben. Ausgenommen von diesem vorläufigen
Verfügungsrecht sind die Administrativjustizsachen. Der Provinzialdirektor") oder der
Präsident des Verwaltungsgerichtshofs hat ein ähnliches Recht nicht.
4. Die Frage, welche Streitsachen im reinen Verwaltungsstreitverfahren zu er-
ledigen und welche der oben genannten Verwaltungsgerichte dafür zuständig sind, ist
nicht durch eine einheitliche Formel zu beantworten, sondern im Gesetz wie folgt geregelt.
a) Regelmäßig entscheidet der Kreisausschuß in erster, der Provinzialausschuß in
zweiter, der Verwaltungsgerichtshof in dritter Instanz. Dies gilt zunächst für die sog.
„Administrativjustizsachen“, d. h. für alle Sachen, für welche nach älterem
hessischen Recht die Administrativjustiz eingeführt war; dahin gehören Streitsachen über
Ablösungen, Ersatz von Wildschaden, Feldbereinigungen u. s. f. Das Gleiche gilt ferner
für einzelne „Gemeinde-Verwaltungssachen“5.
b) In gewissen Fällen ist der Kreisausschuß erste, der Provinzialausschuß zweite
und letzte Instanz, sodaß die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofs fortfällt. So
bei Rekursen gegen die Verweigerung der Ortsbürgeraufnahme.
1) Z. 1, S. 41; 4, S. 123.
2) Dagegen wird bei Prozessen zwischen Armenverbänden die Versäumnißmaxime streng
durchgeführt. Hess. Ausf. Ges. v. 14. Juli 1871, Art. 12. Siehe 3. 4, S. 190.
3) Ein blos mündlich eröffnetes Urtheil ist nichtig, Entsch. d. Verw.G.'#s Z. 5, S. 38.
4) KO., Art. 100, Abs. 4, bezieht sich auf das reine Verw. Streitverfahren nicht.
5) Siehe unten § 52.