46 Zweiter Abschnitt: Staat und Staatsverfassung. 5. Der Staatsdienst. § 21.
§ 21. c. Pflichten der Staatsdiener. Diese sind für die verschiedenen Arten der
Staatsdiener sehr verschieden bestimmt. Allgemeine Pflichten sind folgende ?#:2
1. Die Dienste, welche dem Beamten obliegen, sind ungemessen. Sie sind nicht
einmal auf die Besorgung des dem Beamten übertragenen Amts beschränkt. Der Beamte
muß vielmehr auch Nebenaufträge ohne besondere Vergütung übernehmen, sosern sie nur
„seinem Geschäftskreise nicht durchaus fremd“ sind (Edikt v. 12. April 1820 Art. 6).
2. Der Beamte muß an seinem Amtssitz wohnen (Residenzpflicht).
3. Er darf seine Dienstthätigkeit nur einstellen, wenn ihm ein Urlaub ertheilt ist?.
4. Er ist zur Amtsverschwiegenheit verpflichtet, soweit nicht die Natur der Sache
eine Ausnahme gestattet. Im Bereich seiner Amtsverschwiegenheit darf er nur mit be-
sonderer Erlaubniß des Vorgesetzten Zeugniß ablegen 3).
5. Er hat den Befehlen seiner Vorgesetzten zu gehorchen. Doch nicht bedingungslos.
Vielmehr hat er das Recht und die Pflicht zu prüfen, ob der Vorgesetzte zur Ertheilung
des Befehls zuständig war; denn nur in diesem Falle liegt ein Befehl des Vorgesetzten
als solchen wirklich vor. Die Frage aber, zu welchen Befehlen der Vorgesetzte zuständig
ist, läßt sich nicht durch eine allgemeine Formel beantworten. So wäre namentlich der
Satz falsch, daß der Vorgesetzte bloß zu gesetzmäßigen Befehlen zuständig sei, und also
der Untergebene einem gesetzwidrigen Befehle nicht zu gehorchen verpflichtet, ja nicht ein-
mal zu gehorchen berechtigt sei. Denn so selbstverständlich es auch sein mag, daß der
Vorgesetzte nur gesetzmäßige Befehle erlassen darf, so ist es doch Sache des Vorgesetzten
und nicht Sache des Untergebenen, die Gesetzmäßigkeit des Befehls zu prüfen; würde
man doch anderenfalls den Untergebenen geradezu dem Vorgesetzten als höhere Instanz
überordnen und das Verhältniß zwischen Vorgesetzten und Untergebenen auf den Kopf
stellen"). Wenn also der Vorgesetzte sich einmal bei der Prüfung der Gesetzmäßigkeit
seines Befehls irrt und einen gesetzwidrigen Befehl erläßt, so kann man deßhalb noch
nicht sagen, daß er seine Zuständigkeit überschritten habe. Wer das Recht hat zu prüfen,
hat, da nun einmal die Unfehlbarkeit den Menschen nicht eigen ist, auch das Recht sich
zu irren: es ist also, so paradox es klingen mag, der Vorgesetzte in Wirklichkeit auch
zu ungesetzlichen Befehlen zuständig. Und zwar kann es keinen Unterschied machen, ob
der Irrthum des Vorgesetzten Thatsachen oder Rechtssätze, ob er bestrittene und zweifel-
hafte oder völlig klare Rechtssätze betrifft?); erscheint doch sehr oft dem subalternen Ver-
stande des Untergebenen, der sich über eine Buchstabenauslegung des Gesetzes nicht
erheben kann, ein Rechtssatz „klar“, welchen die pflichtmäßig, aber freier und verständniß-
voller prüfende Oberbehörde höchst zweifelhaft findet. Demgemäß bestimmt die hessische
Verfassung Art. 109 mit Fug und Recht, daß die Verantwortlichkeit der Beamten für
ungesetzliche Befehle fortfalle, insofern sie in Folge von Befehlen ihrer Vorgesetzten
handeln. Ob der Untergebene nicht wenigstens den Vorgesetzten zuvor auf seinen Irr-
thum aufmerksam machen muß, läßt sich nicht allgemein entscheiden; die Frage ist jeden-
falls dann zu bejahen, wenn der Untergebene mit dazu angestellt ist, seine Vorgesetzten
zu informiren. So bleibt nur ein einziger Fall übrig, für den man ganz allgemein?)
1) Uniform der Civilbeamten, V. v. 27. Dez. 1879.
2) V. v. 31. März 1872: Zu Reisen über 4 Wochen oder außerhalb des Reichs gehört Er-
laubniß des Ministeriums.
3) Str. Pr. O. § 53. CPO. 8§ 341.
4) Laband, Staatsrecht 1, S. 441.
5) Abw. G. Meyer, Staatsrecht, 3. Aufl., S. 427.
6) Mit Ausnahme für Militärpersonen, für die nach Reichsrecht eine etwas andere Formel
gilt. Mil. Str. Gesetzb. 47.