Full text: Handbuch des Öffentlichen Rechts. Band III.1.4. Das Staatsrecht des Großherzogtums Hessen. (4)

§ 38. Verordnungen. Verwaltungszwangsverfahren. 57 
Zur letzteren Gruppe gehören namentlich die Polizeiverordnungen. Zu 
deren Erlaß ist für jeden Kreis der Kreisrath befugt; er muß jedoch die Zustimmung 
des Kreisausschusses und des Ministeriums des Innern und der Justiz einholen. Soll 
die Verordnung nur für einen Theil des Kreises gelten, so ist die Zustimmung des 
Kreisausschusses entbehrlich: es kann nämlich für einzelne Landgemeinden der Kreisrath 
nach gutachtlicher Anhörung der Lokalpolizeibehörde und der Gemeindevertretung, in der 
Stadtgemeinde der Bürgermeister bezw. der staatliche Polizeibeamte nach gutachtlicher 
Vernehmung der Stadtverordnetenversammlung die Verordnung erlassen; eine Zu- 
stimmung der Gemeindevertretung ist nicht vorgeschrieben; wohl aber ist auch in 
diesen Fällen die Zustimmung des Ministeriums einzuholen. Für den Fall außer- 
ordentlicher Borkommnisse, welche die Sicherheit der Personen oder des Eigenthums be- 
treffen, kann endlich, wenn Gefahr im Verzuge, der Kreisrath oder der städtische Bürger- 
meister Polizeiverordnungen ganz auf eigene Faust erlassen, ohne gutachtliche Vernehmung 
der Gemeindevertretung und ohne Zustimmung des Ministeriums; doch haben derartige 
Verordnungen nur für längstens 4 Wochen Gültigkeit. — Die Verordnungen können 
Strafandrohungen enthalten, regelmäßig bis zur Höhe von 30, in Fällen dringlicher 
Gefahr bis 90 Mark. 
c) VerwaltungsverordnungeKn, d. h. solche Verordnungen, welche sich 
nur an die Behörden wenden und diesen irgendwelche Pflichten auferlegen, dagegen nicht 
unmittelbar für das Volk verpflichtend sein wollen, kann der Großherzog und jede vor- 
gesetzte Behörde auch ohne besondere Ermächtigung erlassen. Ihre Gültigkeit reicht 
soweit, wie die Gehorsamspflicht derjenigen Behörde, an welche sie gerichtet ist. 
2. Alle Verordnungen müssen, um gültig zu sein, verkündet werden; bei den Ver- 
waltungsverordnungen genügt jedoch die Mittheilung an die von der Verordnung be- 
troffene Behörde. Die Verkündigungsform ist die gleiche wie bei den Gesetzen; doch 
genügt bei den Polizeiverordnungen die Verkündung durch das Kreisblatt. 
Auch bei den Verordnungen unterliegt die Gültigkeit einer freien Nachprüfung 
seitens der Gerichte und aller andern Behörden, die nicht zu unbedingtem Gehorsam 
gegen den Verordnenden verpflichtet sind. Nur die Frage, ob bei Erlaß einer Noth- 
verordnung der Fall der Dringlichkeit wirklich vorlag, ist der Nachprüfung entzogen. 
§ 33. 3. Verwaltungszwangverfahren. 1. Für Geldansprüche ist dies Verfahren 
durch Ges. vom 30. Sept. 1893 neugeregelt!). 
a) Das Verfahren gilt für Steuern, Zölle und sonstige Abgaben des Reichs, des 
Staats und der Gemeinden, für Kirchensteuern einschließlich der Umlagen der israeliti- 
schen Religionsgemeinden, für Geldstrafen in Feld= und Forstrügesachen, für alle nicht 
gerichtlich erkannten Geldstrafen, für Gerichtskosten und Gerichtsgebühren, soweit sie nicht 
den Staatsanwälten und Gerichten zur Beitreibung überwiesen sind, für die aus den 
Ablösungen herrührenden Tilgungsrenten und die an die Landeskreditkasse zu leistenden 
Zahlungen, für die Brandversicherungsbeiträge, die Wittwenkassebeiträge, die Reichspost- 
forderungen, die Beiträge zur Arbeiterversicherung, für die „Ausstände" der Gemeinden, 
endlich für die Beitreibung von Geldforderungen aus Entscheidungen, Beschlüssen, An- 
ordnungen und Verfügungen der Verwaltungsbehörden, Finanzbehörden und Verwal- 
tungsgerichte. Alle diese Geldforderungen beruhen auf öffentlichem Rechte, mit einziger 
Ausnahme der Gemeindeausstände, welche privatrechtlicher Art wenigstens sein können; 
indeß ist bei diesen das Verwaltungszwangsverfahren einzustellen, sobald der Schuldner 
1) Eine Ausführungsverordnung zu diesem Gesetze ist in Aussicht gestellt, zur Zeit (Ok- 
tober 1893) aber noch nicht erschienen.
	        
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