Full text: Handbuch des Öffentlichen Rechts. Band III.1.4. Das Staatsrecht des Großherzogtums Hessen. (4)

§ 43. Das Budgetrecht des Landtages. 75 
von den Ständen zur Forterhebung der Steuern auch über jene sechs Monate hinaus 
ermächtigen lassen . 
Zunächst fallen die vier direkten Steuern fort; denn, wie schon oben erwähnt, 
ist für diese nur das Steuerkapital gesetzlich festgestellt, nicht aber der Prozentsatz des 
Kapitals, der als Steuer wirklich erhoben werden soll; diese Lücke wird für jede Finanz- 
periode durch das Finanzgesetz ausgefüllt; kommt das Finanzgesetz nicht zu Stande, so 
ist den direkten Steuern der Rechtsboden vollständig entzogen. 
Es fallen weiter auch die indirekten Abgaben fort. Allerdings sind diese 
durch dauernde Gesetze auch der Höhe nach festgeregelt; das Finanzgesetz braucht ihret- 
wegen anscheinend keine Lücke in den Gesetzen auszufüllen; sie könnten also auch beim 
Scheitern des Finanzgesetzes ruhig forterhoben werden; ja wenn das Finanzgesetz daran 
scheitert, daß die Kammern eine indirekte Abgabe einseitig streichen, und der Großherzog 
um dieses Abstrichs willen dem Finanzgesetz die Zustimmung versagt, könnte man 
meinen, daß die Regierung zur Forterhebung der Abgabe verpflichtet wäre, weil die 
Kammern eine durch Gesetz eingeführte Abgabe nicht einseitig aufheben können. Indeß 
Verf. Art. 67 bestimmt auch für die indirekten Steuern, daß sie nur mit Zustimmung 
der Stände „ausgeschrieben oder erhoben“ werden dürfen, und fügt dann unvermittelt 
Regeln über das Finanzgesetz hinzu, ohne dessen Inhalt irgendwie zu bestimmen; 
daraus geht hervor, daß die Zustimmung der Stände zu der Steuer eben im Finanz- 
gesetz erfolgen und also nur für eine Finanzperiode gelten soll. Nur so wird auch er- 
klärlich, daß die Verfassung die ständische Zustimmung für die „Ausschreibung“ und 
„Erhebung“ der Steuer fordert; erstere geschieht durch dauerndes Gesetz; letztere wird 
dagegen für jede Finanzperiode von Neuem bewilligt: das dauernde Gesetz ist einem 
Urtheil zu vergleichen, welches die Steuer feststellt; das Finanzgesetz gibt mit Be- 
schränkung auf drei Jahr die Vollstreckungsklausel dazu. Nur so erklärt sich endlich 
Verf. Art. 69, wo vorausgesetzt wird, daß „die Auflagen“ — also nicht bloß einzelne 
— nur auf Zeit bewilligt seien. Das Ergebniß ist, daß auch die indirekten Steuern 
einseitig durch die Kammern vom Etat abgesetzt werden können, ja, daß sogar die 
Mehrheit der zweiten Kammer allein dazu im Stande ist (wenn sie nämlich groß genug 
ist, um bei der gemeinsamen Abstimmung beider Kammern gemäß Verf. Art. 69 die 
entgegengesetzte Mehrheit der ersten Kammer zu überstimmen). 
Die II. Kammer hat die hier vertretene Auffassung 1891 siegreich durchgeführt, indem sie 
einseitig gegen den Widerspruch von Regierung und I. Kammer die Weinsteuer im Finanzgesetz 
strich; schließlich gaben Regierung und I. Kammer nach, um einen Konflikt zu vermeiden, und 
begnügten sich mit einer bloßen Rechtsverwahrung. 
Dagegen macht die Verfassung die übrigen Einnahmen von einer Bewilligung der 
Kammern nicht abhängig. Wenn das Finanzgesetz trotzdem auch für sie die Bewilligung 
ausspricht, so ist dies staatsrechtlich ohne Belang und kann ebenso gut fortbleiben. Die 
Regierung kann also alle Einnahmen, die nicht zu den direkten oder indirekten Auflagen 
gehören?), auch ohne Finanzgesetz erheben. Dahin gehören die Erträge des Staats- 
vermögens und der Regalien, die Geldstrafen, vor allem aber die Ueberweisungen aus 
den Zöllen und Steuern des Reichs. Es hätte ja auch bei all diesen Einnahmen eine 
Verweigerung seitens der Stände gar keinen Sinn. 
Aber auch die Verweigerung der direkten und indirekten Auflagen kann nicht will- 
kürlich erfolgen. Vielmehr ist es, obschon es in der Verfassung nicht ausdrücklich aus- 
1) 1849, 1851, 1852 wiederholt geschehen. 
2) Siehe oben §. 42. 8
	        
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