76 Vierter Abschnitt: Das Finanzwesen. 3. Budgetrecht. 8 43.
gesprochen ist, die Pflicht der Stände, so viel Einnahmen zu bewilligen, als zur Deckung
der von den Ständen selbst für nothwendig erkannten Ausgaben erforderlich ist. Das
ist im Grunde selbstverständlich. Eine Kammer, welche nicht einmal die nothwendigen
Einnahmen bewilligt, kann damit nur einen Nebenzweck verfolgen, z. B. den Sturz eines
unbeliebten Ministeriums betreiben, und dazu ist sie nicht befugt. Verbietet doch Verf.
Art. 68 ausdrücklich, daß eine Kammer ihre Bewilligung der Einnahmen „an die Be—
dingung der Erfüllung bestimmter Desiderien“ knüpft (Verf. Art. 68), umsoweniger
darf eine Kammer um ihrer „Desiderien“ willen die Einnahme ganz verweigern. Thut
sie es doch, so macht sie damit die Durchführung der Verfassung unmöglich, und die
Regierung, an die Verfassung nicht mehr gebunden, darf die Einnahmen holen, wo sie
sie zu holen die Macht hat1). Sobald dagegen die Kammern ihre Steuerverweigerung
damit begründen, daß sie den verbleibenden Einnahmerest für ausreichend halten, um
den Staatsbedarf zu decken, ist die Steuerverweigerung unanfechtbar. Die Regierung
darf nicht entgegnen, daß sie den Staatsbedarf nach pflichtmäßigem Ermessen höher
schätze oder daß sie mit den bewilligten Einnahmen schlechterdings nicht auszukommen im
Stande sei. Bielmehr muß die Regierung mit diesen Einnahmen auskommen, mag
auch das Land darunter leiden! Auch bei Gesetzen ist ja die Regierung nicht in der
Lage, sie gegen den Willen der Stände aufzuheben, mögen die Gesetze auch nach Auf-
fassung der Regierung geradezu verderblich für das Land sein. Vielmehr ist festzuhalten,
daß, soweit die Gesetzgebung und die Steuerbewilligung in Frage kommt, die Stände
so gut wie die Regierung zum Wächter des Staatswohls bestellt sind, und wenn beide
Wächter sich nicht einigen können, so ist der Staat freilich übel berathen, aber auf dem
Wege Rechtens ist ihm nicht zu helfen.
Besonders wichtig ist der Fall, wo die Stände die Geldmittel zu einer Ausgabe
verweigern, zu welcher der Staat nach Ansicht der Regierung verpflichtet ist. Vermögen
die Stände selber nicht ernstlich zu bestreiten, daß der Staat die Pflicht zu zahlen hat,
so ist die Weigerung nach der oben entwickelten Regel ungesetzlich. Stellen dagegen die
Stände die Verpflichtung in Abrede, so ist die Weigerung wenigstens formell eine recht-
mäßige; denn, da die Stände zuständig sind zu prüfen, ob eine Geldbewilligung nöthig
ist oder nicht, so sind sie auch zuständig zu entscheiden, ob eine Rechtspflicht zu der
Geldbewilligung vorliegt. Daß die Regierung die Pflicht behauptet, und daß sie von
der Richtigkeit ihrer Behauptung überzeugt ist und sie beweisen zu können meint, ändert
hieran nichts. Denn für die Erfüllung der Geldverpflichtungen des Staates hat nicht
die Regierung allein zu sorgen, sondern die Regierung im Verein mit dem Landtag.
Braucht doch auch umgekehrt die Regierung eine Zahlung nicht zu leisten, wenn sie die
vom Landtag behauptete Zahlungspflicht des Staates bestreitet.
Ein Streit darüber, ob der Staat zu einer Zahlung verpflichtet ist, kann
namentlich bei der Bestimmung der Civilliste vorkommen. Daß der Staat über-
haupt eine Civilliste zahlen muß und daß an der einmal bewilligten Höhe während der
Regierungszeit eines Großherzogs nichts geändert werden kann, ist freilich nicht zu be-
streiten. Wohl aber ist es jedesmal streitig, in welcher Höhe die Civilliste eines neuen
Großherzogs zu bemessen sei. Nach der oben entwickelten Regel muß die Regierung sich
jede von den Ständen bewilligte Summe gefallen lassen; denn die Stände haben die
Höhe der für den großherzoglichen Hofhalt erforderlichen Summe nach pflichtmäßigem
Ermessen festzustellen und die Behauptung der Regierung, daß die Feststellung auf
groben Irrthümern beruhe, ist hiergegen machtlos. Anders natürlich wenn der Groß-
1) Siehe unten S. 77.