§ 43. Das Budgetrecht des Landtages. 77
herzog den Staat auf Erhöhung der Civilliste — was wegen des privatrechtlichen
Charakters der Civilliste unbedenklich gestattet werden muß — verklagt und ein günstiges
Erkenntniß erstreitet; einem rechtskräftigen Urtheil gegenüber hört das Bestreiten der
Stände auf. — Dagegen ist die Behauptung, die gelegentlich von der hessischen Regie-
rung aufgestellt ist, daß, wenn ein Gesetz über die Feststellung der Civilliste nicht zu
Stande komme, die Verwaltung und Nutzung der Domänen dem Großherzog heimfalle,
unbegründet.
Ein ernstlicher Konflikt zwischen Regierung und Landtag kam 1850 vor. Das Ministerium
hatte, nachdem die auf dem Finanzgesetz von 1845 beruhende Finanzperiode abgelaufen war, kein
neues Finanzgesetz vorgelegt, sondern das alte immer von Neuem auf 3 oder 6 Monat verlängern
lassen; schließlich lehnte die zweite Kammer mit 45 gegen 4 Stimmen 1850 eine weitere Verlänge-
rung ab, d. h. sie verweigerte alle Steuern; darauf löste die Regierung den Landtag auf
und schrieb die Steuern durch Nothverordnung aus. Hier ist nun das Verhalten der Kammer
sicher gesetzwidrig gewesen, da sie selber an der Nothwendigkeit mindestens eines Theiles der Steuern
nicht zweifelte. Nur das eine konnte fraglich sein, ob der oben zu Gunsten der Regierung geltend
gemachte Grund hier etwa zu Gunsten der Kammer Platz griff, d. h. ob etwa die Regierung durch
gesetzwidriges Verhalten den Kammern die Durchführung der Verfassung unmöglich gemacht hatte.
Diese Frage mag hier auf sich beruhen, weil sie mehr politischer als staatsrechtlicher Art ist. Jeden-
falls war die Steuerweigerung so gut ein Staatsstreich seitens der Kammer, wie die Erhebung der
verweigerten Steuern ein Staatsstreich seitens der Regierung war; nur der Unterschied bestand,
daß der Staatsstreich der Regierung die Staatsmaschine im Gang hielt, während der Staatsstreich
der Kammer die Maschine zum Stillstand bringen mußte, und daß die Regierung die Macht besaß,
ihre Absicht durchzuführen, während die Kammer gänzlich ohnmächtig war.
b) Weit günstiger ist die Regierung bezüglich der Ausgaben gestellt. Denn die
Ausgaben brauchen nicht besonders von den Ständen bewilligt zu werden. Die Regie-
rung hat also, wenn ein Finanzgesetz nicht zu Stande kommt, freie Hand, natürlich
im Rahmen der bestehenden Gesetze, nach denen gewisse Ausgaben geleistet werden müssen,
gewisse Ausgaben nicht geleistet werden dürfen. Demgemäß kann die Regierung in
Ermangelung eines Finanzgesetzes die ihr zu Gebote stehenden Geldmittel verwenden,
wie sie will. Das gilt namentlich auch für die ersten sechs Monate der neuen Finanz-
periode, in welcher die Regierung ein Recht auf die vollen Einnahmen der verflossenen
Periode hat; denn die Verfassung sagt nirgends, daß das ganze Finanzgesetz der
verflossenen Periode, daß insbesondere auch der Hauptvoranschlag der Staatsausgaben
auf die ersten sechs Monate der neuen Periode übertragen wird, sondern ordnet die
Uebertragung nur für die Abgaben, also die Einnahmen an. Es ist also nicht zu ver-
kennen, daß das Scheitern des Finanzgesetzes in dem ersten Sechstel der neuen Periode
die Rechtsstellung der Regierung geradezu verbessert: volle Einnahme und keine Bindung
wegen der Ausgabe.
Der Satz, daß die Regierung ohne Finanzgesetz bezüglich der Ausgaben besser
gestellt ist, wie mit Finanzgesetz, ist befremdlich. Er erklärt sich aber dadurch, daß die
Verfassung gar nicht die Absicht gehabt hat, die Regierung wegen ihrer Ausgaben durch das
Finanzgesetz zu binden. Denn das Finanzgesetz ist, wie aus Art. 67 der Verfassung
hervorgeht, ein Steuergesetz, hat auch in dem ursprünglichen Verfassungsedikt vom
18. März 1820 so geheißen, verfügt also nur über die Einnahmen. Erst im Art. 68 der
jetzigen Verfassung ist von den Ausgaben die Rede, aber nicht davon, daß die Stände diese zu
bewilligen haben, sondern nur daß ihnen deren Nothwendigkeit nachzuweisen ist. Nun werden
freilich, auch nach der Absicht der Verfassung, die Stände nur soviel Einnahmen be-
willigen, als zur Deckung derjenigen Ausgaben, deren Nothwendigkeit sie für nach-
gewiesen halten, erforderlich ist; sie werden also, wenn sie eine von der Regierung vor-
geschlagene Ausgabe für überflüssig halten, die zu bewilligenden Einnahmen um einen
entsprechenden Betrag vermindern. Allein damit ist jene Ausgabe selber nicht gestrichen.