88 46 u. 47. Gemeindegebiet. Gemeindeangehörige. 81
2. Nach französischem Muster folgt die Verfassung der Stadt- und Landgemeinden
der nämlichen Schablone, sodaß sogar früher für beide Gemeindearten eine einzige Ge—
meindeordnung — vom 30. Juni 1821 — bestand. Jetzt ist eine besondere Städte-
ordnung unterm 13. Juni 1874 und eine besondere Landgemeindeordnung unterm
15. Juni 1874 ergangen. Freilich stimmen beide Gesetze in den meisten Paragraphen
wörtlich überein 1). Nur in wenigen wichtigeren Punkten unterscheiden sie sich; vor allem
durch die Art, wie der Bürgermeister gewählt wird, und in der Rechtsstellung, die ihm
nach seiner Wahl zukommt.
3. Mehrere Landgemeinden können zu einer zusammengesetzten Bürger-
meisterei verbunden werden?2). Doch hat diese Verbindung nur für die Staatsverwal-
tung Bedeutung, während sie in Gemeindeangelegenheiten bloß eine Personalunion der
Gemeinden unter einem Bürgermeister darstellt, den betheiligten Gemeinden also volle
kommunale Selbständigkeit (getrennten Gemeinderath, getrennten Etat u. s. f.) beläßt.
Bildung und Auflösung einer solchen zusammengesetzten Bürgermeisterei bedarf der Er-
laubniß des Ministeriums.
4. Wie schon oben S. 34 erwähnt, gibt es außer den Ortsgemeinden noch eine
große Zahl „selbständiger Gemarkungen“. Ihnen werden gewisse öffentliche Lasten,
z. B. die Armen-, Schul-, Straßenbaulast in der gleichen Art aufgelegt, wie den Orts-
gemeinden. Und zwar ist Träger der Last nicht etwa die Einwohnerschaft der Ge-
markung, sondern ausschließlich der Eigenthümer. Deßhalb ist auch jede korporative
Organisation der Gemarkungs-Einwohnerschaft entbehrlich, und die Gemarkung in keiner
Weise als ein Kommunalverband aufzufassen.
§ 46. b. Gemeindegebiet ). Jede Gemeinde besitzt einen bestimmt umgrenzten
Bezirk, die Gemarkung. Die öffentlichen Rechte und Pflichten der Gemeinden sind
auf diese Gemarkung räumlich beschränkt. Jede Grenzveränderung, also auch die Neu-
bildung, Theilung, Auflösung von Gemeinden kann nur mit Regierungsgenehmigung
geschehen. Die Vereinigung zweier Gemeinden kann nur mit ihrer beider Zustimmung
und landesherrlicher Genehmigung erfolgen; die Vereinigung von Darmstadt und Bessungen
ist mittels Sondergesetzes (vom 8. März 1888) bewirkt.
§ 47. c. Gemeindeangehörige! ). 1. Die Einwohnergemeinde (Gemeinde
im weiteren Sinn) umfaßt alle Personen, die in der Gemarkung ihren Wohnsitz haben,
ohne Unterschied des Alters oder Geschlechts, der Staatszugehörigkeit u. s. f. Sie ist
rechtlich dadurch ausgezeichnet, daß sie die Gemeindelasten trägt und zur Mitbenutzung
gewisser öffentlicher Gemeindeanstalten befugt ist?).
Uebrigens nehmen auch die Forensen, d. h. Personen, die in der Gemeinde
Grundbesitz haben oder Gewerbe treiben, ohne dort zugleich zu wohnen, an den Gemeinde-
lasten theil, jedoch nur an den Gemeindezuschlägen zur Grund= und Gewerbesteuer.
2. Die Ortsbürgergemeinde (Gemeinde im engeren Sinn) hat in einer Be-
ziehung einen weiteren Umkreis als die Einwohnergemeinde; denn die Ortsbürger brauchen
in der Gemeinde nicht zu wohnen und verlieren deßhalb durch Wegzug aus der Gemeinde
ihr Ortsbürgerrecht ) nicht. In anderer Beziehung ist sie dafür enger begrenzt: denn
1) So sehr, daß in St O. 88, Abs. 1, die Stadtverordnetenverf. sogar als Maskulinum behandelt
wird („sein“ Gutachten), weil der Gesetzesredakteur dabei an „den“ Gemeinderath der LO. dachte.
2) LO. 9, 31 Abs. 3. 3) St . 4, 5, LO. 2—4.
4) StO. 6—8, 67—75, 13, 14; LO. 5—7, 55—63, 13, 14.
5) So gehen z. B. beim Besuch einer überfüllten Volksschule die Einwohnerkinder den Kin-
dern von Forensen oder auswärts wohnenden Ortsbürgern vor.
6) Allerdings hört ihr Nutzungsrecht an der Allmende auf, solange sie fort sind, man kann
also sagen, es ruhe. Sobald sie aber zurückkehren, lebt es von selbst wieder auf.
Handbuch des Oeffentlichen Rechts III. Hessen. 2. Aufl. 6