82 Fünfter Abschnitt: Gemeinden und Gemeindeverfassung. 1. Die Ortsgemeinden. 847.
sie schließt Frauen!), Minderjährige und Nichthessen aus. Auch wird die Zugehörigkeit
zur Ortsbürgergemeinde nicht von Rechtswegen erworben, sondern es bedarf dazu einer
besonderen Rechtshandlung. Bei Kindern von Ortsbürgern oder von Staatsbeamten,
Geistlichen, Lehrern u. s. f., welche in der Gemeinde wohnen oder zur Zeit ihres Todes
oder ihrer Dienstentlassung gewohnt haben, genügt als Erwerbshandlung eine einfache
Anzeige an den Bürgermeister zwecks Eintragung in das „Bürgerregister“. Andere
Personen müssen dagegen von der Gemeindevertretung durch besonderen Beschluß auf-
genommen werden, und die Gemeindevertretung kann ihnen die Zahlung eines Einzugs-
geldes auferlegen; übrigens darf die Aufnahme einem Hessischen Staatsangehörigen nur
dann versagt werden, wenn er sittlich übel beleumundet oder sich nicht zu ernähren im
Stande ist.
Kein Einwohner der Gemeinde kann zum Erwerbe des Ortsbürgerrechts ge-
zwungen werden. ·
Die Ortsbürger sind dadurch ausgezeichnet, daß sie allein an den Nutzungen der
Allmende Antheil haben?), und daß andererseits einzelne Pflichten, z. B. das Halten von
Feuereimern, nur ihnen obliegen. Auch treten die Ortsbürger, wie gleich zu zeigen, in
den Besitz der politischen Gemeinderechte früher ein, wie die andern Einwohner.
3. Die politische Gemeinde ist ein engerer Kreis der Einwohnergemeinde.
Sie umfaßt nämlich nur solche Einwohner, welche männlichen Geschlechts sind, das
25. Lebensjahr vollendet haben, die deutsche Reichszugehörigkeit besitzen und in der Ge-
meinde kommunalsteuerpflichtig 3) sind. Außerdem müssen die Angehörigen der politischen
Gemeinde seit mindestens zwei Jahren den Unterstützungswohnsitz in der Gemeinde er-
worben haben; nur die Ortsbürger sind von dieser Beschränkung, die einen mindestens
vierjährigen Aufenthalt in der Gemeinde voraussetzt, frei. Endlich sind, wie bei der Land-
tagswahl, Personen ausgeschlossen, die unter Pflegschaft oder Vormundschaft stehen —
über deren Vermögen Konkurs eröffnet ist, — denen durch Strafurtheil das öffentliche
Wahlrecht entzogen ist, — die im letzten Jahr Armenunterstützung empfangen haben, —
die mit der Entrichtung der Kommunalsteuer länger als zwei Monate im Rückstande
sind"). Der Besitz der hessischen Staatsangehörigkeit ) oder des hessischen Staatsbürger-
rechts wird nicht gefordert.
Die Angehörgen der politischen Gemeinde sind dadurch ausgezeichnet, daß nur sie
das Gemeindewahlrecht haben. Außerdem sind nur sie zur Annahme von Gemeindeämtern
verpflichtet. Ueber die Pflicht, Aemter anzunehmen, gelten folgende Regeln 0): Jedes Mit-
glied der politischen Gemeinde muß die Wahl zum Mitglied einer Gemeindevertretung oder
Verwaltungsdeputation und zum unbesoldeten Beigeordneten annehmen und das Amt
während der Dauer der Wahlperiode behalten, wenn er sich nicht auf einen Ablehnungsgrund
(Krankheit, Geschäfte, welche eine lange Abwesenheit mit sich bringen, Alter über 60 Jahr,
die in den letzten 3 Jahren stattgehabte Verwaltung einer unbesoldeten Stelle, die Ver-
waltung eines andern öffentlichen Amts u. dgl.) berufen kann. Wer sich der Pflicht
rechtswidrig entzieht, wird durch Beschluß der Gemeindevertretung auf 3—6 Jahr seines
Ortsbürger= und Stimmrechts verlustig erklärt, und seine Kommunalsteuer kann um
1) Ueber Ortsbürgerwittwen s. unten S. 90. »
2) Deßhalb spielen die Ortsbürger da, wo die Allmende ganz fehlt oder unbedeutend ist,
keine Rolle. In Gießen find z. B. von etwa 21000 Einwohnern nur 613 Ortsbürger.
3) Ges. vom 15. Mai 1885. 4) Ges. v. 15. Mai 1885. « »
5) Doch können Bayern nicht Mitglieder einer hessischen politischen Gemeinde sein, weil sie
n ihr weder Ortsbürgerrecht noch Unterstützungswohnsitz erwerben können. Entsch. d. Verw.G.'s
. 1I1, S. 73.
6) StO. 112, 113, LO. 87, 88.