12 Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar 12.)
oder Erbschaftszuwachssteuer seien nicht nach seinem (Bassermanns) Geschmack,
könnten auch einen Konflikt zwischen Reich und Einzelstaaten, der sich aus
der Steuerfrage ergeben sollte, nicht bannen. Eine energische Regierung
würde gewiß die Erbschaftssteuer erreichen. Eine Partei aber, die ihr
entgegenarbeiten würde, müßte bei einer eventuellen Wahl sehr schlecht ab-
schneiden. Bassermann besprach dann noch die Ostmarkenfrage und bedauerte
dabei die schwächliche Anwendung des Enteignungsgesetzes. Wie im Osten,
so wachse im Westen die nationalistische Bewegung an als Reflexbewegung
des französischen Chauvinismus. Reden wie jene des Abbé Wetterlé seien
ein bedenkliches Zeichen. Die Jesuitenfrage habe bisher nur geringe
Bedeutung gehabt. Mit einem Schlage sei sie in den Vordergrund ge-
schoben worden, um innere Parteischwierigkeiten zu überwinden. Ganz
glücklich sei wohl auch die Lösung dieser Frage durch die Regierung nicht
gewesen. Vom Zentrum müsse man fordern, daß es auch die Gefühle der
45 Millionen deutscher Protestanten schone. Hinsichtlich unserer Fleisch-
versorgung wachse dem Reich eine neue Aufgabe zu, die vom Einzelstaat
oder der Gemeinde allein nicht gelöst werden könne. Auch hier tue ent-
schiedene und rasche Hilfe not.
12. Januar. Die „Norddeutsche Allgemeine Zeitung“ über die
Schritte der Großmächte in der Balkankrisis:
„Die Kollektivnote der Großmächte, durch welche dem Wieder-
ausbruch der Feindseligkeiten entgegengewirkt werden soll, war am Freitag
(den 10. Jannar) abend ihrem vollen Wortlaut nach im Entwurf festgestellt, auf
dessen einstimmige Annahme durch die Kabinette gerechnet wird. Die Ein-
mütigkeit der Großmächte über Form und Inhalt dieses gemeinsamen Schrittes
möge eine gute Vorbedeutung sein, daß auch in den noch offen stehenden Fragen
sich eine euroväische Uebereinstimmung wird erzielen lassen. Die Hinweise
einzelner Blätter auf noch nicht behobene Meinungsverschiedenheiten er-
scheinen unangebracht in einem Augenblick, wo sich der Friedenswille
Europas für ein einheitliches Vorgehen in der Hauptfrage bewährt. Die
der Pforte zu überreichende Note bedeutet einen freundschaftlichen, wenn
auch ernsten Rat, der nichts enthält, was gegen die wohl erwogenen Inter-
essen der Türkei selbst verstößt, die doch für ihr künftiges Erstarken auf
die willige Mithilfe der Großmächte rechnet. Auch den Balkanstaaten gegen-
über setzte die ausgleichende mildernde Tätigkeit der Mächte niemals aus.
Sie macht sich gegenwärtig u. a. in den zwischen Rumänien und Bulgarien
entstandenen Schwierigkeiten geltend, von denen wir hoffen, daß sie auf
dem Wege diplomatischer Unterhandlungen ihre Lösung finden.“
Bezugnehmend auf die im englischen Unterhause gestellte Anfrage
über die im Balkankriege vorgekommenen Grausamkeiten schreibt
das Blatt: „Zahllose Mitteilungen liegen darüber vor, wie von Irregulären
und Banden gehaust worden ist. Bis zu welchem Grade die Beschuldigungen
im einzelnen Falle auf Wahrheit beruhen, läßt sich von hier aus vorläufig
nicht nachprüfen. Die deutsche Regierung brachte alle Fälle, die ihr zu
Ohren kamen, zur Kenntnis der zur Abhilfe berufenen Regierungen und
suchte auch sonst darauf hinzuwirken, daß dem Treiben Einhalt geschah.
Der Armeebefehl des Generals Sawow vom 17. Dezember traf auch sehr
eingehende, kräftige Anordnungen zum Schutze von Eigentum, Leben und
Ehre der mohammedanischen Bevölkerung. Daß trotz aller Strenge der
Behörden die Untaten der Banden nicht haben unterdrückt werden können,
bleibt aufs tiefste zu beklagen."
12. Januar. (Köln a. Rh.) Eine von 300 Personen besuchte