Volkstümliches aus dem Nachlasse von Rudolf Hildebrand. 101
In aͤllen meinen Thaͤten
Laß ich den Höchsten räten u. s. w.
Während nun das Liedchen Bauer baue Kessel nach Auf-
fassung der Schulmetrik das Fehlen einer Senkung (nach der
ersten Silbe) aufweisen würde, fehlt doch in Wahrheit nichts.
Zu diesem angeblichen Auslassen hat Hildebrand in dem-
selben Aufsatze einen Waldenburger Auszählspruch als vor-
treffliches Beispiel angeführt.
Ich ging einmal nach Engelland,
Begegnet mir ein Elefant,
Elefant mir Gras gab,
Gras ich der Kuh gab,
Kuh mir Milch gab u. s. w.
Die ersten zwei Zeilen haben Auftakt, ehe der Rhythmus
einsetzt. Von da an fehlt er, und zugleich beginnt das Sparen
der Senkung in der letzten Stelle vor dem Reim: Gras gab.
Das steigert sich: Gras ich der Küh gäb und erreicht den
Höhepunkt in der fünften Zeile: Kuh mir Milch gäb. Dies
wird nun nicht etwa mit Lücken zwischen den Worten ge-
sprochen, die den Senkungen entsprächen, sondern in halben
Noten, sodaß der Rahmen in den bloß vier Silben doch
voll daher klingt. Der Vortrag, auch der Auszählsprüche,
ist nämlich kein ganz prosaischer, sondern hat eine fast un-
merkliche Melodie. Hier erscheint ganz natürlich, was der
Schulmetrik so fern steht, wie der Mond der Erde oder
noch ferner'.
Daß dabei übrigens nicht Ungeschick der Kinder mitwirkt,
sondern rhythmische Altertümlichkeit, geht auch aus dem
Wortlaut des Spruchs hervor. Da ist wiederum das Fehlen
des Artikels eine grammatische Altertümlichkeit.
Wer will da zweifeln, daß in dem poetischen Leben der
Kinder auch in so äußerlichen Dingen Fäden aus der Urzeit
her unabgerissen bis in die Gegenwart sich fortspinnen?