108 II. Reichsgesetzgebung. Art. 4.
Regelung allein maßgebenden Landesrecht einen verschiedenen Standpunkt
einnehmen. Übrigens kann ein Beweis für die hier vertretene Ansicht auch
aus dem Wortlaut des Art. 7 und 17 entnommen werden. Der Art. 4
bedarf hinsichtlich seiner Bestimmung über das Aufsichtsrecht einer Aus-
führungsvorschrift darüber, welches Reichsorgan dieses Recht auszuüben hat.
Diese Ausführungsbestimmung ist in den Art. 7 und 17 enthalten, und
beide Vorschriften setzen eine reichsgesetzliche Regelung der Materie voraus,
die den Gegenstand der Aufsicht bilden soll. Ohne reichsgesetzliche Regelung
gibt es nach Art. 17 keine Überwachung durch den Reichskanzler und nach
Art. 7 kein Einschreiten des Bundesrats. Laband hat a. a. O. S. 618
noch ausgeführt, daß die Beaufsichtigung der Einzelstaaten durch das Reich
hinsichtlich der Ausübung der Fremdenpolizei in der Richtung begründet
sei, daß die Regierungen nicht untereinander in Konflikte geraten, ihre
politischen Absichten durchkreuzen oder gar sich Schaden zufügen und daß,
wenn in dieser Beziehung unter den Staaten Meinungsverschiedenheiten
oder Streitigkeiten entständen, es Sache des Reichskanzlers sei, eine Aus-
gleichung herbeizuführen, und im äußersten Falle würde nach Art. 76
Abs. 1 R.V. der Bundesrat auf Anweisen des einen Teils die Streitigkeit
zu „erledigen“ haben. Hiergegen ist einzuwenden, daß es politisch zwar
höchst erwünscht ist, wenn es den Organen des Reichs, Bundesrat oder
Reichskanzler, gelingt, auch auf den reichsgesetzlich nicht geregelten Gebieten
einen zwischen den Bundesstaaten entstandenen Konfliktsstoff aus der Welt
zu schaffen, und wenn ein Teil den Bundesrat anruft, so ist die ver-
fassungsmäßige Möglichkeit hierzu allerdings durch Art. 76 Abs. 1 ge-
geben. Aber abgesehen von diesem besonderen Falle, der eine bis auf die
Spitze getriebene Spannung der Situation und mindestens einen Streit
zwischen Bundesstaaten voraussetzt, kann aus solchen Erwägungen die
Möglichkeit und Zulässigkeit eines Aufsichtsrechts des Reichs nicht be-
gründet werden.
Es fehlt nun einmal die Möglichkeit des Einschreitens, ohne die das
Aufsichtsrecht gegenstandslos ist — weil die Voraussetzungen des Art. 7
Ziff. 3 nicht gegeben sind — und es fehlt sogar die Möglichkeit einer über-
wachenden Tätigkeit des Reichskanzlers, weil die Voraussetzung des Art. 17
nicht gegeben ist. Abgesehen hiervon ist die Haltung jedes Einzelstaats
unangreisbar, wenn er sich auf den Standpunkt zurückzieht, daß er nichts
anderes tut, als daß er das für ihn geltende Landesrecht anwendet; die
Reichsverwaltung könnte nichts anderes verlangen. Wenn aus der Diver-
genz der Landesrechte sich Konflikte ergeben, so bleibt nichts als die reichs-
gesetzliche Regelung übrig, und dafür, daß dem Reichsgesetz genügt wird,
können die Reichsorgane auf Grund der Art. 4, 7, 17 Sorge tragen. Zu-
lässig ist es natürlich auch, daß die Regierungen der Einzelstaaten sich
bezüglich solcher Angelegenheiten, für die ein verfassungsmäßiges Aussichts-
recht des Reichs nicht besteht, freiwillig — durch gegenseitiges Überein-
kommen — der Aufsicht des Reichs, des Bundesrats oder Reichskanzlers,
unterwerfen. Ebenso ist es zulässig, daß der Reichskanzler oder der Bundesrat
außerhalb der ihnen durch Art. 17 bez. 7 eingeräumten Befugnisse es ver-
suchen, in den fraglichen Angelegenheiten auf die Regierung der Einzelstaaten
einzuwirken. Doch kann es sich dabei natürlich nur um die Anwendung
diplomatischer Mittel, nicht um Zwangsmaßregeln handeln, und die Reichs-