Full text: Die Verfassung des Deutschen Reichs mit Erläuterungen.

II. Reichsgesetzgebung. Art. 4. 113 
Freizügigkeit, die in früherer Zeit durch besondere Reichsgesetze eingeführt 
waren, find jetzt sämtlich beseitigt, insbesondere ist das Ges. v. 4. Juli 1872 
betr. den Orden der Gesellschaft Jesu R.G. Bl. S. 253, soweit es eine Be- 
schränkung der Freizügigkeit enthält, durch das Ges. v. 8. März 1904 R.G. Bl. 
S. 139 aufgehoben. Darin, daß nach wie vor laut des in Kraft gebliebenen 
§ 1 des Ges. v. 4. Juli 1872 der Orden der Gesellschaft Jesu und die ihm 
verwandten Orden und ordensähnlichen Kongregationen vom Gebiet des 
Deutschen Reichs ausgeschlossen und die Errichtung von Niederlassungen 
dieser Kongregationen untersagt ist, liegt keine Beschränkung der Freizügigkeit, 
sondern nur eine Beschränkung der Vereinsfreiheit. 
Für die Einschränkung der Freizügigkeit kamen ferner früher in Betracht: 
das Ges. v. 4. Mai 1874 betr. die Verhinderung der unbefugten Ausübung 
von Kirchenämtern R.G. Bl. S. 434, aufgehoben durch das Ges. v. 6. Mai 
1890 R.G.Bl. S. 65 und das Ges. v. 21. Okt. 1878 gegen die gemein- 
gefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie R.G.Bl. S. 351, dessen 
Geltungszeit von vornherein beschränkt war, mehrfach verlängert wurde, 
aber am 30. Sept. 1890 endgültig beendet war. 
Unter die Materie der Freizügigkeit muß auch das Doppelsteuergesetz 
v. 22. März 1909 R. G. Bl. S. 332 rubriziert werden, weil es sonst an 
einer verfassungsmäßigen Unterlage für die Begründung der Kompetenz des 
Reichs fehlen würde. Auch dieses Gesetz gilt im ganzen Bundesgebiet. 
Danach darf ein Reichsangehöriger zu den direkten Staatssteuern nur in 
demjenigen Bundesstaate herangezogen werden, in welchem er seinen Wohnsitz 
hat. Im Reichs= oder Staatsdienst stehende Reichsangehörige dürfen nur 
in dem Bundesstaate besteuert werden, in welchem sie ihren dienstlichen 
Wohnsitz haben. Auch bezüglich des Grundbesitzes und Gewerbebetriebes 
find Bestimmungen getroffen, welche die Doppelbesteuerung ausschließen 
sollen. Unter den Begriff der „Heimats= und Niederlasfsungsverhältnisse"“ 
kann man die Materie, welche dieses Gesetz regelt, nicht zählen, weil das 
Gesetz im ganzen Reich gilt, während die Gesetzgebung über die Heimats- 
und Niederlassungsverhältnisse auf Bayern nicht ausgedehnt werden darf. 
Unter den Begriff des „Staatsbürgerrechts“ fällt das Gesetz nicht, weil es 
sich dabei nicht um politische Rechte, sondern um den Schutz reiner Ver- 
mögensinteressen handelt, und endlich fällt das Gesetz nicht unter Art. 4 
Ziff. 2, weil es nicht Steuern betrifft, die für die Zwecke des Reichs zu 
verwenden find. Andere Bestimmungen der Reichsverfassung kommen als 
Grundlage für die Zuständigkeit des Reichs nicht in Betracht, und daher 
bleibt nur „die Freizügigkeit“ übrig. Diesem Gebiet das Gesetz zuzurechnen, 
läßt sich dadurch rechtfertigen, weil die Freizügigkeit befördert wird durch 
Bestimmungen, die verhindern, daß Reichsangehörige in mehreren Bundes- 
staaten für dieselben Einkommensquellen oder Vermögenswerte besteuert 
werden. 
b) Heimats= und Niederlassungsverhältnisse. 
Hierzu gehört das Gesetz über den Unterstützungswohnsitz v. 6. Juni 
1870 B. Gl. S. 360; es wurde durch Novellen v. 12. März 1894 R.G. Bl. 
S. 259 und v. 30. März 1908 R.G. Bl. S. 377 abgeändert und der neue 
Text ist unter dem 30. Mai 1908 im R. G. Bl. S. 381 bekannt gemacht. 
Das Gesetz gilt nicht in Bayern. Seine Grundsätze find unter Art. 3, V. 
S. 88 ff. mitgeteilt. 
Dambitsch, Deutsche Reichsverfassung. 8
	        
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