II. Reichsgesetzgebung. Art. 4. 119
schlossenen Verträge und des Reichsgesetzes v. 22. April 1871 B. G. Bl.
S. 87 § 211 im ganzen Bundesgebiet, ausgenommen Elsaß-Lothringen,
gilt. Das Gesetz bestimmt (8 1 Abs. 1), daß Reichsangehörige zum Aus-
gang aus dem Bundesgebiet, zur Rückkehr in das Bundesgebiet sowie zum
Aufenthalt und zu Reisen innerhalb des Bundesgebietes keines Reisepapieres
bedürfen und daß (8 2) auch von Ausländern weder beim Eintritt noch
beim Austritt über die Grenze des Bundesgebietes noch während ihres
Aufenthaltes oder ihrer Reisen innerhalb des Bundesgebietes ein Reisepapier
gefordert werden soll. Reichsangehörige wie Ausländer bleiben jedoch
verpflichtet, sich auf amtliches Erfordern über ihre Person genügend aus-
zuweisen (§ 3). Pässe und sonstige Reisepapiere können ausgestellt werden
(§§ 4, 6, 7, 8) und „sollen“ Reichsangehörigen auf ihren Antrag auch
erteilt werden, wenn ihrer Befugnis zur Reise gesetzliche Hindernisse nicht
entgegenstehen (§ 1 Abs. 2). Zu den „gesetzlichen Hindernissen“ gehören
z. B. Militärpflicht, polizeiliche Beaufsichtigung, gerichtliche Untersuchung usw.;
ogl. Cirk. Reskr. des Preuß. Ministers des Innern v. 30. Dez. 1867, Min.
Bl. f. d. innere Verw. 1868 S. 4. Es besteht aber keine Verpflichtung
zur Vorlegung der Reisepapiere behufs der Bisierung (§ 5). Wenn die
Sicherheit des Reichs oder eines einzelnen Bundesstaates oder die öffent-
liche Ordnung durch Krieg, innere Unruhen oder sonstige Ereignisse bedroht
erscheint, kann die Paßpflicht überhaupt oder für einen bestimmten Bezirk
oder zu Reisen aus und nach bestimmten Staaten des Auslandes durch
Anordnung des Kaisers vorübergehend eingeführt werden (§ 9). Als
„sonstige Ereignisse“ im Sinne dieser Bestimmung wurden in der Reichs-
tagssitzung v. 30. Sept. 1867 St. B. 185 namentlich Epidemien und Unruhen
im Nachbarstaate bezeichnet; vgl. v. Rönne I S. 117f f. Es besteht also
grundsätzlich Paßfreiheit, wenigstens in dem Sinne, daß eine Kontrolle der
Reisenden nicht als Präventivmaßregel eingeführt werden darf; auch ergibt
sich aus dem Gesetz, daß bezüglich des Anspruchs auf Legitimationspapiere
in der Regel alle Klassen der Reichsangehörigen auf gleichem Fuße zu
behandeln find.
e) Fremdenpolizei.
Die Aufnahme dieses Wortes in Art. 4 Ziff. 1 ist auf einen An-
trag des Abg. Michaslis zurückzuführen, der sein Amendement in der
Reichstagsfitzung v. 20. März 1867 St. B. 271 wie folgt begründete:
„Wollen wir das Indigenat, wollen wir den freien Verkehr sichern,
so muß die Bundesgesetzgebung wenigstens die allgemeinen Grundsätze
der Fremdenpolizei feststellen können. Natürlich bleibt die Fremdenpolizei
Sache des einzelnen Staates und des einzelnen Ortes, da der Bund selbst
ja die Fremdenpolizei nicht üben kann. Auch Spezialverordnungen über
Fremdenpolizei bleiben ebenso lokale Angelegenheiten, wie fie es in den
größeren Staaten find. Es handelt sich nur (darum), im Wege der
Gesetzgebung die allgemeinen Grundsätze festzustellen, welche allen Be-
wohnern des Norddeutschen Bundes ein Aufenthaltsrecht gewähren und
sichern, und welche es unmöglich machen, daß im Wege der Fremden-
polizei die Bestimmungen, die wir über Indigenat und Freizügigkeit
getroffen haben, illusorisch werden.“
Diesen Ausführungen wurde von keiner Seite widersprochen; der Bundes-
kommissar v. Savigny äußerte nur sein Bedenken St. B. 272, ob es sich