120 II. Reichsgesetzgebung. Art. 4.
empfehle, die Bestimmungen über die Fremdenpolizei selbst in diesem ein-
geschränkten Sinne der Kompetenz des Reichs zu überlassen; er erklärte:
„Wir werden keinen Anstand nehmen, das Paßwesen (ebenfalls auf
Antrag des Abg. Michaslis aufgenommen) unter die Gegenstände aufzu-
nehmen, welche in Passus 1 genannt sind. Inwieweit dies auch auf die
Bestimmungen über die Fremdenpolizei auszudehnen sein wird, das,
glaube ich, tun Sie besser, uns bei Ausführung der Gesetzgebung zu
überlassen.“
Man kann hieraus schließen, daß die Verbündeten Regierungen, wenn
sie auch schließlich den Antrag Michablis angenommen haben, mindestens
nicht gewillt waren, dem Antrag im Sinne der Ausdehnung der Reichs-
kompetenz eine weitere Bedeutung beizumessen, als der Antragsteller selbst
es getan hat. Aus den Ausführungen des Abg. Michaölis aber geht hervor,
daß, man nur beabsichtigte, die Bestimmungen des Bundes über Indigenat
unds Freizügigkeit sicherzustellen, da zur Zeit, als dieser Antrag gestellt
wurde, in jedem Einzelstaate noch die einem anderen Einzelstaate an-
gehörenden Personen als Ausländer und Fremde angesehen wurden und
der Fremdenpolizei unterlagen. Dagegen war nicht daran gedacht, dem
Reich auch die Regelung derjenigen Fremdenpolizei zu übertragen, die sich
auf die Reichs= Ausländer bezieht. Gerade in den Ausführungen des Abg.
Michaölis ist die Ansicht enthalten, daß die Einzelstaaten im neugegründeten
Bunde ihre Gebietshoheit behalten sollten und daß es mit dieser Gebiets-
hoheit unvereinbar sei, die Entscheidung über die Duldung oder Ausweisung
der Fremden, die auch nach der Gründung des Bundes Fremde blieben,
nämlich der Reichs-Ausländer, der Regierung des Einzelstaates, in welchem
die Ausländer sich aufhalten oder aufhalten wollen, zu entziehen. Der
Abgeordnete erklärte ausdrücklich, daß nur das Aufenthaltsrecht der Be-
wohner des Norddeutschen Bundes sicher gestellt werden sollte. Diese
Anschauung ist von den Verbündeten Regierungen und der Reichsverwaltung
stets festgehalten worden. So hat, nachdem der Reichstag am 1. Dez. 1885
darüber verhandelt hatte, ob Ausweisungsmaßregeln der preußischen Regie-
rung nach Art. 4 Ziff. 1 zur Kompetenz des Reichs gehören, der Bundesrat
am 23. Dez. 1886 den Beschluß gefaßt, daß die Kompetenz der preußischen
Regierung zu Ausweisungsmaßregeln gegen Ausländer eine zweifellose und
ausschließliche sei (der Beschluß ist angeführt bei Horst Kohl Politische
Reden des Fürsten Bismarck Bd. 11 S. 313f.). Näher begründet wurde
der Standpunkt der Verbündeten Regierungen durch den Reichskanzler Fürst
Hohenlohe in der Reichstagssitzung v. 16. Febr. 1899 St. B. 917, als er
wegen Ausweisungsmaßregeln, welche die preußische Regierung angeordnet
hatte, interpelliert wurde; er erklärte:
„Das Recht der Ausweisung von Ausländern ist der Ausfluß eines
Landeshoheitsrechts der einzelnen Bundesstaaten, dessen Ausübung weder
nach der Reichsverfassung noch nach den Reichsgesetzen der Beaufsichtigung
des Reichs unterliegt. Die Bestimmung des Art. 4 R.V. unter Nr. 1,
wonach die Fremdenpolizei der Beauffichtigung seitens des Reichs und
dessen Gesetzgebung untersteht, kann auf die Ausweisung von Ausländern
nicht bezogen werden. Diese Bestimmung ist i. J. 1867 auf Antrag des
Abg. Michablis in die Verfassung des Norddeutschen Bundes aufgenommen
worden. Die Absicht des Antrages ging lediglich dahin, die Möglich-