II. Reichsgesetzgebung. Art. 4. 137
liegt — für die weitere Auslegung find u. a. Hänel Staatsrecht I S. 687 ff.
und Arndt S. 165, für die engere Auslegung: v. Seydel S. 65 ff., v. Land-
mann Gewerbeordnung S. 25ff. sowie die Reichsverwaltung und die
preußische Staatsregierung, vgl. die Erklärung des Staatssekretärs des
Innern Graf v. Posadowsky-Wehner in der Reichstagssitzung v. 1. Febr. 1905
St. B. 4199. Jedesfalls hat das Reich von der ihm eventuell verliehenen
Kompetenz bisher keinen Gebrauch gemacht, vielmehr durch Art. 67 das
Eins.-Ges. zum B. G. B. die Zuständigkeit der Einzelstaaten ausdrücklich an-
erkannt, wie der damalige Staatssekretär des Innern v. Bethmann Hollweg
in der Reichstagssitzung v. 17. Jan. 1908 St. B. 251000 hervorgehoben
hat. Ist dies aber der Fall, so erstreckt sich auch das durch Art. 4 be-
gründete Aufsichtsrecht des Reichs nicht auf das Bergwesen; vgl. Art. 4
All 3 S. 104 f. Im übrigen ist auch für die Fälle, in denen die Kompetenz
des Reichs zur Regelung gewerblicher Fragen unbestreitbar ist, zu bemerken,
daß in der Regel die Bestimmungen der Gewerbeordnung nur ein Minimum
darstellen, über das die Landesgesetze hinausgehen können; insbesbndere
steht § 1 der Gew.O., der den Grundsatz der Gewerbefreiheilt aufstellt,
nicht schlechthin der landesgesetzlichen Regelung von gewerblichen Betrieben
entgegen, vgl. die Ausführungen des Staatssekretärs des Reichs-Justiz-
amts Nieberding in der Reichstagssitzung v. 18. Juni 1904 St. B. 3209 B;
z. B. verhindern die Bestimmungen der Gew.O. über die Approbation der
ärzte, die Konzessionspflicht von Theaterunternehmungen und das Verbot
des Handels mit Lotterielosen im Umherziehen nicht die weitergehenden
landesgesetzlichen und landespolizeilichen Einschränkungen dieser Gewerbe-
betriebe, vgl. für den ärztlichen Beruf (Frage der Zulassung von Frauen)
die Reichstagsverhandlung v. 21. Jan. 1898, für die Frage der landes-
polizeilichen Regelung der Theaterzensur den Kommissionsbericht v. 22. Mai
1905 (Anl. der 11. Leg.-Per. Sess. 1 Bd. 7 S. 3840 Nr. 635), für die
Regelung des Handels mit Lotterielosen die Entsch, des Kammergerichts v.
24. April 1893 (Johow Bd. 14 S. 252).
8) Versicherungswesen.
Hier ist zunächst die Arbeiterversicherung zu nennen. Zu ihrer Ent-
stehungsgeschichte, ihrem sozialpolitischen Charakter und dem Verhältnis zu
Art. 4 Ziff. 1 vgl. S. 128ff. Die Arbeiterversicherung hat drei Zweige:
1. die Krankenversicherung,
2. die Unfallverficherung,
3. die Alters- und Invalidenversicherung.
Die Krankenversicherung ist durch das Reichsgesetz v. 15. Juni 1883
RN.G. Bl. S. 73 eingeführt. Nach Abänderungen durch die Reichsgesetze v.
28. Jan. 1885 R.G. Bl. S. 5 und v. 10. April 1892 R. G. Bl. S. 379 wurde
der Text unter d. 10. April 1892 R.G. Bl. S. 417 neu bekannt gemacht.
Weitere Abänderungen brachten die Novellen v. 30. Juni 1900 R. G. Bl.
S. 332 und v. 25. Mai 1908 R. G. Bl. S. 233. Danach sind die meisten
gewerblichen Arbeiter und ein großer Teil der technischen und kaufmännischen
Angestellten gegen Krankheit zwangsweise verfichert, sofern die Beschäftigung
dieser Personen nicht durch die Natur ihres Gegenstandes oder im voraus
durch den Arbeitsvertrag auf einen Zeitraum von weniger als einer Woche
beschränkt ist. Es wird im Krankheitsfalle gewährt: vom Beginn der