138 II. Reichsgesetzgebung. Art. 4.
Krankheit ab freie ärztliche Behandlung, Arznei und andere Heilmittel, und
zwar nötigenfalls 26 Wochen lang, ferner im Falle der Erwerbsunfähigkeit
vom dritten Tage nach der Erkrankung ab für jeden Arbeitstag ein Kranken-
geld in Höhe der Hälfte des ortsüblichen Tagelohnes gewöhnlicher Tage-
arbeiter und zwar ebenfalls 26 Wochen lang. Die Kosten der Versicherung
werden durch Beiträge der Verfsicherten gedeckt. Zur Durchführung der
Versicherung werden Krankenkassen gebildet, d. h. genofsenschaftliche, lediglich
aus den Versicherten selbst bestehende Selbstverwaltungskörper, die unter
einer sehr eingeschränkten Aussicht der Staats= und Kommunalbehörden
stehen.
Die Unfallversicherung ging aus der namentlich vom Fürsten Bismarck
vertretenen Anschauung hervor, daß das Haftpflichtgesetz den Arbeitern gegen-
über nicht genüge und durch eine andere Regelung ersetzt werden müsse, bei
der von der Frage eines subjektiven Verschuldens bei Feststellung der Ent-
schädigung grundsätzlich Abstand genommen werde, die tatsächliche Unter-
stützungsbedürftigkeit der Arbeiter als Folge des Unfalls den Ausgangspunkt
bilde, für die Unterstützung gewisse Maximalbeiträge festgestellt und die
Mittel im Wege der Versicherung aufgebracht werden. — Votum des
Fürsten Bismarck v. 28. August 1880 (v. Poschinger Aktenstücke Bd. 2 S. 4).
Die Unfallversicherung wurde zuerst geregelt durch das Reichsgesetz v.
6. Juli 1884 R.G.Bl. S. 69. Nach verschiedenen Abänderungen und Er-
gänzungen, deren wichtigste in dem Reichsgesetz v. 3;0. Juni 1900 R.GG. Bl.
S. 335 enthalten ist, wurde der Text unter d. 5. Juli 1900 R. G. Bl.
S. 573 neu bekannt gemacht. Der Unfallversicherung ist zwangsweise der
größte Teil der gewerblichen und landwirtschaftlichen Arbeiter sowie der
Seeleute unterworfen. Die Versicherung erstreckt sich auf die Folgen der
bei dem Betriebe sich ereignenden Unfälle. Falls durch einen derartigen
Unfall eine Verletzung eintritt, wird als Schadensersatz vom Beginn der
14. Woche nach Eintritt des Unfalls ab freie ärztliche Behandlung, Heil-
mittel in weitem Umfange und eine Rente für die Dauer der Erwerbs-
unfähigkeit gewährt. Die Rente richtet sich nach dem Grade der Erwerbs-
unfähigkeit und steigt bei völliger Erwerbsunfähigkeit bis zu zwei Drittel
des Jahresarbeitsverdienstes, bei einem hohen Grade von Hülfslosigkeit
ausnahmsweise bis zur vollen Höhe des Jahresarbeitsverdienstes; im Falle
der Tötung wird ein Sterbegeld und eine Rente für die Witwen und
Waisen (bis 60 % des Arbeitsverdienstes), eventuell auch für Verwandte
der aufsteigenden Linie gewährt. Die Kosten der Versicherung werden aus-
schließlich durch Beiträge der Arbeitgeber aufgebracht. Zur Durchführung
der Versicherung find Berufsgenossenschaften aus den zahlungspflichtigen
Arbeitgebern gebildet, die bei grundsätzlicher Wahrung des Selbstverwaltungs-
rechts dieser Korporationen unter der Aufsicht einer unabhängigen Reichs-
behörde, des Reichs-Versicherungsamtes, stehen. Die Rentenansprüche werden
nicht im ordentlichen Rechtswege verfolgt, jedoch ist ein geordneter In-
stanzenzug eingerichtet. Gegen den Bescheid der Berufsgenossenschaft, die
an erster Stelle über den Anspruch entscheidet, steht den Versicherten die
Berufung an das Arbeiter-Schiedsgericht und gegen dessen Entscheidung
den Versicherten wie den Berufsgenossenschaften der Rekurs an das Reichs-
Verficherungsamt zu, das endgültig entscheidet. Die Sorge für die Unfall-
verhütung liegt — unter Mitwirkung und Oberaufsicht des Reichs-Ver-