II. Reichsgesetzgebung. Art. 5. 173
auch ist es nicht unzulässig, daß die eine oder andere Körperschaft ihre Zu-
stimmung von Bedingungen abhängig macht, die dazu führen, daß An-
gelegenheiten, die dem von dem Gesetz geregelten Gebiet eigentlich fremd
find, in das Gesetz einbezogen werden. Gegen ein solches Verfahren werden
in vielen Fällen politische Erwägungen sprechen und es wird für die Ver-
ständigung zwischen Bundesrat und Reichstag oft schädlich sein, aber die
Neichsverfassung verbietet es nicht; jede der beiden Körperschaften ist völlig
frei in der Art und Weise, wie fie den Inhalt des ihr vorgelegten Entwurfs
abändern, ausgestalten und fassen will — ebenso Laband II S. 22, v.
Rönne II 1 S. 151V Ziffer 1.
Eine Ausnahme von diesem Satz besteht für den Fall, daß nach aus-
drücklicher reichsgesetzlicher Vorschrift der Reichstag nicht zuzustimmen, son-
dern nur zu genehmigen hat. Dies geschieht einmal bei den Staatsverträgen,
für deren Gültigkeit es nach Art. 11 Abs. 3 R.V. der „Genehmigung“ des
Reichstags bedarf, ferner in den Fällen, in denen auf Grund einer positiven
Bestimmung der Reichsgesetzgebung zur Abänderung des bestehenden Rechts-
zustandes ein einseitiger Akt des Bundesrats mit der „Genehmigung“ des
Reichstags erforderlich und ausreichend ist. Dann kann der Reichstag den
ihm vorgelegten Entwurf nur im ganzen annehmen oder ablehnen. So ist
in dem Wahlgesetz v. 31. Mai 1869 B. G. Bl. S. 148 § 15 bestimmt, daß
es Sache des Bundesrats ist, das Wahlreglement zu erlassen, daß aber
das Wahlreglement nur unter Zustimmung des Reichstags abgeändert
werden kann, d. h. also durch eine Verordnung des Bundesrats, für die
es ausnahmsweise der Zustimmung des Reichstags bedarf. Weitere Bei-
spiele, namentlich auch für die häufigeren Fälle, daß es zur Gültigkeit der
Verordnung nur der nachträglichen, bei dem nächsten Zusammentritt des
Reichstags einzuholenden Genehmigung des Reichstags bedarf, sind bei
Laband 1 S. 279 f. angeführt. Diese Genehmigung, mag sie nachträglich
oder in der Form der Zustimmung im voraus eingeholt werden, muß
uneingeschränkt erteilt oder abgelehnt werden. Die Genehmigung einer
solchen Verordnung mit abändernden Zusätzen gilt als Ablehnung, die mit
der Aufstellung eines neuen Entwurfs verbunden wird — so Laband I
S. 280 A. 1. In dem gleichen Sinne hat sich der Staatssekretär des
Innern Graf Posadowsky-Wehner in der Reichstagssitzung v. 21. April 1903
St. B. S. 8915 und 8920 unter Berufung auf die Ausführung Labands
zu der Vorlage betr. Abänderung des Wahlreglements v. 28. Mai 1870
geäußert.
b) Gleichberechtigung hinsichtlich der Wiederholung abgelehnter Vorlagen.
Art. 64 der preuß. Verfassungsurkunde schreibt vor:
„Dem König sowie jeder Kammer steht das Recht zu Gesetze vorzu-
schlagen.
Gesetzesvorschläge, welche durch eine der Kammern oder den König ver-
worfen worden sind, können in derselben Sitzungsperiode nicht wieder
vorgebracht werden.“
Eine dieser Bestimmung entsprechende Vorschrift enthält die Reichs-
verfassung nicht; ein derartiges Verbot ergibt sich auch keineswegs aus der
Natur der in Betracht kommenden staatsrechtlichen Verhältnisse. Deshalb
steht nichts im Wege, daß ein Gesetzentwurf, der von dem Bundesrat ein-