Full text: Die Verfassung des Deutschen Reichs mit Erläuterungen.

III. Bundesrat. Art. 6. 197 
„Der Entwurf (der Verfassungsurkunde) hat sich darauf beschränkt, 
den Einzelstaaten nur das zu nehmen oder das zu beschränken, was sie 
in vollständigem Maße nicht entwickeln konnten. Aber er hat ihnen das 
erhalten, was zu entwickeln sie die Möglichkeit und Fähigkeit haben." 
Im alten deutschen Bunde wurden zwar von der Bundesversammlung 
alle überhaupt dem Bunde obliegenden Staatsfunktionen wahrgenommen, 
ohne Konkurrenz der Zentralgewalt, wie sie jetzt in der Person des Kaisers 
vereinigt ist. Aber gerade in dieser Beziehung haben die außerpreußischen 
Einzelstaaten bei der Gründung des Norddeutschen Bundes und des Reichs 
nicht allzuviel aufgegeben. Denn tatsächlich wurde damals das Schicksal 
Deutschlands, soweit es sich um seine Beziehungen zu den außerdeutschen 
Nationen handelt, durch Österreich und Preußen gelenkt; die anderen 
deutschen Bundesstaaten kamen mindestens für die auswärtige Politik, aber 
auch für die Lösung vieler und bedeutungsvoller Fragen der inneren Politik 
tatsächlich nicht in Betracht. So wenigstens wurde auch im konst. Reichs- 
tag die Lage aufgefaßt, vgl. die Ausführungen des Abg. Migquel Sitzung v. 
23. März 1867 St. B. 345. 
5. Der föderative Charakter des Bundesrats. 
Unter I, 3 S. 195 ist ausgeführt worden, daß der Bundesrat zwar 
kein Staatenhaus im staatsrechtlichen Sinne des Wortes ist, daß er also 
nicht die Aufgabe hat, die Einzelstaaten gegenüber der Gesamtheit, d. h. 
etwa gegenüber dem Kaiser und dem Reichstage zu vertreten, sondern daß 
er seinerseits stets und überall die Regierung des Reichs vertritt. Aber 
politisch fällt den einzelnen Bundesratsbevollmächtigten vorzugsweise die 
Rolle zu, die besonderen Interessen und Wünsche der von ihnen vertretenen 
Bundesstaaten gegen einander und gegenüber dem Reichstage wahrzunehmen, 
weil der Bundesrat das Verbindungsglied ist, durch das die Einzelstaaten an 
der Regierung des Reichs teilnehmen, und in dieser Funktion liegt ein Ersatz 
für die Einbuße an Staatsgewalt, welche die Einzelstaaten bei der Gründung 
des Reichs auf sich genommen haben. Der Bundesrat ist, wie Fürst Bis- 
marck in der Reichstagssitzung v. 1. April 1871 St. B. 95 zum Ausdruck 
gebracht hat, zwar kein zentrifugales Element, aber er bildet die Vertretung 
berechtigter Sonderinteressen. An diese seine Funktion hatte man bei der 
Gründung des Reichs gedacht, als es sich um die Frage handelte, dem 
Bundesrat die bisherige Bezeichnung zu belassen oder ihm einen neuen 
Namen zu geben; vgl. die Ausführungen des Fürsten Bismarck in der 
Reichstagsfitzung v. 1. April 1871 St.B. 95 
6. Das Ergebnis. 
Der Charakter des Bundesrats ist nach den vorstehenden Ausführungen 
dahin festzustellen: 
1. Jeder einzelne Bundesratsbevollmächtigte ist der Vertreter der Landes- 
regierung, die ihn zum Bundesrat entsandt hat; der Bundesrat in 
seiner Gesamtheit ist der Vertreter der Gesamtheit der Verbündeten 
Regierungen. 
2. Der Bundesrat beruht zwar auf historischer Grundlage und seine 
Organisation ist aus den politischen Verhältnissen zu erklären, die 
in Deutschland zur Zeit der Gründung des Norddeutschen Bundes
	        
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