200 III. Bundesrat. Art. 6.
Funktionen hervorgehoben. Da aber der Bundesrat in seiner Gesamtheit
ein gesetzgebendes und verwaltendes Organ des Reichs und als Vertreter
der Verbündeten Regierungen sogar das die Souveränetät des Reichs —
mit den I 4 S. 195 f. angegebenen Einschränkungen — ausübende Organ
ist, kann er im Sinne der überlieferten staatsrechtlichen Begriffe nicht als
Staatenhaus bezeichnet werden, das einen gewissen Gegensatz zu dem Reichs-
ganzen und zu dessen Zentralgewalt voraussetzt.
Der „Bundesrat“ ist eine ebenso originale als glückliche Einrichtung
der Reichsverfassung; vgl. Laband 1 S. 216, v. Seydel S. 136, Meyer 9122
S. 428. Im konst. Reichstage (Sitzung v. 23. März 1867 St. B. 345)
äußerte der Abg. Miquel Bedenken, ob der Bundesrat wegen seiner kollegialen
— vielköpfigen — Zusammensetzung geeignet sei, große Verwaltungsaufgaben
auch in kritischen Zeiten zu lösen:
„Es wird sich bald finden, daß die Inkonsequenz, die in dem Entwurf
liegt, wonach das Heer und die Post einheitlich verwaltet und geführt
werden soll, wonach aber das Eisenbahnsystem und die gesamten Finanzen,
wenn ich wenigstens die Bestimmungen im Art. 8 über die Bildung von
Ausschüssen recht verstehe, verwaltet werden sollen von Ausschüssen, daß
diese fatale Konsequenz nicht in der ersten Krisis vorhält. Im Frieden
mag das gehen, im Kriege aber muß der Finanzminister des Bundes
ebenso einheitlich handeln wie der General. Es wird sich zeigen, daß
in dem Augenblick, wo diese Krisis hereintritt, mit der Berwaltung von
Ausschüssen, die aus den Vertretern der kleinen Staaten zusammengesetzt
find, nicht auszukommen ist.“
Diese Besorgnis hat die Folgezeit nicht gerechtfertigt. Der Bundesrat
hat seine Aufgaben auch in der großen Krise von 1870/71 erledigt. Wenn-
gleich das vom Abg. Miquel ausgesprochene Bedenken nicht ohne weiteres
abzuweisen ist, daß ein Kollegium, das überdies nach der Verfassung nicht
notwendig ständig versammelt ist, weniger als ein nur von einer Person
beherrschtes Zentralorgan geeignet ist, Geschäfte zu führen, bei denen sofortige,
mit einer schweren Verantwortung verbundene Entschlüsse zu fassen sind,
so wird diese Gefahr dadurch verringert, daß der Bundesrat aus Personen
besteht, die aus ihrer sonstigen staatsmännischen Tätigkeit gewohnt find,
wenn es not tut, verantwortungsvolle Entschlüsse schnell zu fassen und schnell-
zu erledigen, und wenn in einzelnen Fällen die auf ruhige Zeiten berechnete
Geschäftsordnung des Kollegiums der schleunigen Erledigung von Geschäften
hinderlich ist, während die schnelle Erledigung eine gebieterische Staatsnot-
wendigkeit ist, so ist anzunehmen, daß die Personen, aus denen die Verbündeten
Regierungen und der Bundesrat zusammengesetzt sind, es auch verstehen wer-
den, die Sache über die Form zu stellen. Die Gefahr, daß aus Formverstößen
eine Rechtsfrage und Konfliktsstoff hergeleitet wird, besteht hier zweifellos
nicht in dem gleichen Maße wie bei parlamentarischen Versammlungen.
III. Die Zusammensetzung des Bundesrats.
1. Die Vollmachtgeber.
Da Art. 6 bestimmt, daß der Bundesrat aus den Vertretern der Mit-
glieder des Bundes besteht und daß (letzter Absatz) jedes Mitglied des Bundes
Bevollmächtigte zum Bundesrat ernennen kann, so ergibt sich klar, daß