Full text: Die Verfassung des Deutschen Reichs mit Erläuterungen.

14 Eingang. 
Die vom Fürsten Bismarck anerkannte verfassungsmäßige Garantie der 
Einzelstaaten als selbständiger Staatswesen kann nur in der Bestimmung 
des Eingangs gefunden werden; die Vorschriften des Art. 1 (Bundesgebiet) 
und Art. 6 (Verteilung der Stimmen im Bundesrat) würden bei dem Aus- 
schluß eines Mitglieds zwar in Mitleidenschaft gezogen werden, könnten 
aber abgeändert werden, und deshalb wäre, wenn der Anspruch der Einzel- 
staaten auf Existenz lediglich auf diesen letzteren Verfassungsbestimmungen 
beruhte, die Majorisierung des betreffenden Einzelstaates durch ein die Ver- 
fassung änderndes Reichsgesetz nicht ausgeschlossen (vgl. Bismarck a. a. O. 
St. B. 341): 
„Es steht mit dürren Worten in der Verfassung, daß der souveräne 
Fürst von Waldeck Mitglied des Bundes ist; er ist im Eingang auf- 
geführt, unter denen, die ihn schließen."“ 
Diesem unzerstörbaren Anspruch der Einzelstaaten auf Zugehörigkeit zum 
Reiche entspricht die in gleicher Weise durch die Aufzählung der Mitglieder 
im Eingang festgestellte Pflicht, im Reiche zu bleiben. Kein Einzelstaat 
darf einseitig und eigenmächtig den Verband, dem er als Mitglied des 
Reichs angehört, verlassen, — ebenso Meyer S. 590 A. 10, wo die weitere 
Literatur für und gegen diese Ansicht angeführt ist. 
In der durch den Eingang geschaffenen Garantie ist also neben der 
Bindung aller Mitglieder des Reichs ein Schutz der Einzelstaaten gegen 
Ubermacht und Stimmenmehrheit zu finden. Gesondert hiervon sind die- 
jenigen Fälle zu betrachten, in denen mit Zustimmung des betreffenden 
Einzelstaats Anderungen im Bestande der Dynastien, des Staatsgebiets 
und der staatlichen Selbständigkeit (außerhalb des verfassungsmäßigen Be- 
reichs der Reichsgesetzgebung) eintreten. Es können hier in Betracht kommen: 
Grenzregulierungen, sonstige Gebietsveränderungen — in beiden Fällen 
wird zu unterscheiden sein, ob es sich um einen Gebietsaustausch mit einem 
deutschen oder mit einem ausländischen Staat handelt — ferner die Ab- 
tretung von Staatshoheitsrechten an andere deutsche Einzelstaaten oder an 
Staaten des Auslandes, Personal= und Realunionen mit anderen deutschen 
Staaten oder mit Staaten des Auslandes, Thronstreitigkeiten verschiedener 
Kronprätendenten, der Eintritt anderer Dynastien in die Herrschaft über zum 
Reiche gehörige Staaten und der freiwillige, mit Zustimmung der anderen 
Staaten erfolgende Austritt eines Einzelstaates aus dem Reich. 
üÜberall ist nur an diejenigen Fälle gedacht, in denen der beteiligte 
deutsche Einzelstaat selbst eine solche Verbindung mit einem anderen deut- 
schen Einzelstaate oder mit einem ausländischen Staate sucht. Ist dies 
nicht der Fall, so ist die Kompetenz des Reiches ohne weiteres begründet. 
Geht der Zwang von einem ausländischen Staat aus, so gilt, da einer der 
im Eingang aufgeführten Bundeszwecke der Schutz des Bundesgebiets ist, 
unbestritten der Grundsatz, daß gegenüber ausländischen Angriffen alle 
Mitglieder des Reiches einen gleichmäßigen Anspruch auf Schutz haben, 
den zu gewähren gemäß Art. 11 R.V. Sache des Kaisers ist. Handelt es 
sich aber um Streitigkeiten solcher Art zwischen mehreren deutschen Einzel- 
staaten, so ist die Zuständigkeit des Bundesrats nach Art. 76 R. V. be- 
gründet. 
Für Fälle, in denen der betreffende Staat selbst eine derartige, neue 
Verbindungen mit anderen deutschen Einzelstaaten oder mit dem Ausland
	        
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