Full text: Die Verfassung des Deutschen Reichs mit Erläuterungen.

214 III. Bundesrat. Art. 7. 
Ergründung aus der Bundesverfassung selbst nicht ohne ein gewisses 
Studium möglich war. Eine materielle Anderung des Bestehenden ist 
damit kaum herbeigeführt.“ 
Richtig ist, daß diese Bestimmung „zu denen gehört, welche die Be- 
deutung einer Verstärkung des föderativen Elements haben.“ Denn sie 
erweitert die Macht des Bundesrats, und der Bundesrat ist das föderative 
Element des Reichs. Dagegen ist die Wendung, „daß eine materielle Ande- 
rung des Bestehenden kaum damit herbeigeführt sei“ nur cum grano Salis 
zu verstehen. Eine materielle Anderung des Bestehenden lag darin, daß 
die entsprechenden Machtbefugnisse des Bundesrats sich früher nur auf das 
Handels-, Zoll= und Steuerwesen bezogen, während jetzt, wenn auch aus- 
wärtige Politik und Post, Landheer und Marine, weil lediglich den Befehlen 
des Kaisers unterworfen, ausgeschlossen bleiben, die Kompetenz des Bundes- 
rats viel weiter reicht, entsprechend der Ausdehnung der Reichskompetenz 
auf eine Anzahl neuer Materien (Gewerbewesen, Arbeiterversicherung usw.). 
Mindestens ist dadurch die Befugnis des Bundesrats zum Erlaß von Ver- 
ordnungen bedeutend erweitert worden. Allerdings war i. J. 1870 die 
umfassende Tätigkeit, die der Bundesrat später auch außerhalb des Zoll-, 
Handels-, und Steuerwesens entfaltet hat, wohl noch nicht vorauszusehen, 
und dadurch kann die Äußerung des Präsidenten des Bundeskanzleramts 
eine Erklärung finden. 
II. Die Zuständigkeit des Bundesrats für die Gesetzgebung. 
Die grundlegende Bestimmung enthält Art. 5, wonach die Reichsgesetz- 
gebung durch den Bundesrat und den Reichstag ausgeübt wird und die 
Übereinstimmung der Mehrheitsbeschlüsse beider Versammlungen zu einem 
Reichsgesetze erforderlich und ausreichend ist. Im Verhältnis zu dieser 
Bestimmung stellt Art. 7 Ziff. 1 teils eine Ausführungsvorschrift dar, teils 
ist die Bestimmung des Art. 5, soweit sie die Zuständigkeit des Bundes- 
rats betrifft, einfach nochmals wiederholt worden, weil man, wie es der 
Präfident des Bundeskanzleramts in seiner unter I wiedergegebenen Er- 
klärung zum Ausdruck brachte, das Bedürfnis empfand, die Befugnisse des 
Bundesrats an einer Stelle zusammenzufassen. Soweit diese Bestimmung 
aber eine nähere Ausführung des Art. 5, also mehr als diese Vorschrift 
enthält, können daraus folgende in unbezweifelter Geltung stehenden Sätze 
abgeleitet werden. 
1. Die Beschlußfafsung des Bundesrats erstreckt sich sowohl auf die 
Fälle, in denen die Verbündeten Regierungen die Initiative ergreifen („die 
dem Reichstage zu machenden Vorlagen"), wie auf die Fälle, in denen die 
Initiative vom Reichstage ausgeht („die vom Reichstage gefaßten Beschlüsse"). 
Es find hier alle Vorlagen gemeint, die dem Reichstage gemacht werden 
können, auch wenn sie nicht Gesetzentwürfe sind, z. B. Rechnungsnachweise, 
Verordnungen, die ausnahmsweise dem Reichstage zur Kenntnis oder zur 
Genehmigung vorgelegt werden, und andererseits hat sich der Bundesrat 
auf alle Beschlüsse zu entschließen, die der Reichstag innerhalb seiner ver- 
fassungsmäßigen Zuständigkeit fassen kann, also z. B. auch auf Petitionen. 
Der Bundesrat hat die verfassungsmäßige Pflicht, zu diesen Beschlüssen 
Stellung zu nehmen. Wie und wann er dies tut, ist seine Angelegenheit.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.