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übernommen würde, in welchem es zur Zeit des alten deutschen Bundes
aufgefaßt worden sei. Nach der Auslegung, die von allen Staatsrechtslehrern
dem Art. 6 der Wiener Schlußakte — der die Bestimmung des Amende-
ments enthält — gegeben werde, sei durch die Bestimmung des Art. 6
keineswegs ausgeschlossen, daß deutsche Regenten zugunsten eines Suk-
zessionsberechtigten verzichten könnten, der nicht Regent eines Staates außer-
halb des Bundesgebietes sei. Bei solcher Auslegung würde das Amendement
der Thronfolge des Hauses Cumberland in keiner Weise entgegengestanden
haben und seine Annahme den Ansprüchen dieses Hauses eher günstig gewesen
sein. Mit Rücksicht auf diese Zweifelhaftigkeit der Folgen des Amendements
mag dem Fürsten Bismarck jede Entscheidung in der aufgeworfenen Frage
unerwünscht gewesen sein. Er hat schließlich das Wort ergriffen St. B. 229,
aber keine bestimmte Stellung genommen. Aus seinen Außerungen ist zu
entnehmen, daß er das Bedürfnis für eine derartige Bestimmung vermißte
und der Gefahr, „daß Souveräne, die außerhalb des Bundes ein größeres
Gebiet besitzen, Mitglieder des Bundes werden", keine praktische Bedeutung
beimaß. Darauf wurde das Amendement ohne weitere Erörterung abgelehnt.
Aus der Ablehnung des Amendements v. Carlowitz kann also mindestens
nichts gegen die hier vertretene Ansicht gefolgert werden. Ubrigens ist die
Thronfolgefrage des Hauses Cumberland in neuerer Zeit praktisch geworden
und der Bundesrat hat, wie später (vgl. III 4b) noch in anderem Zusammen-
hange erörtert werden wird, die Angelegenheit als Reichssache behandelt.
Wenn es sich um derartige Verbindungen zwischen mehreren deutschen
Einzelstaaten handelt — Personalunionen, Realunionen, Gebietsaustausch,
Abtretung von Souveränitätsrechten, Thronfolgefragen — so wird in erster
Reihe der Grundsatz gelten, daß hier, da positive Bestimmungen der Reichs-
verfassung nicht berührt werden, jeder Staat seine Selbständigkeit behalten
hat. Wenn jedoch solche Verbindungen wesentliche Machtverschie-
bungen zwischen den Einzelstaaten zur Folge haben, so werden damit die
Grundlagen verändert, auf denen das Reich errichtet ist. Unter der
genannten Voraussetzung — für die sich eine Formel von geringerer
Elastizität nicht wird feststellen lassen — werden deshalb auch solche Fälle
zur Reichsangelegenheit und es darf ohne die Zustimmung des Bundesrats
als des Organs, das die durch die Bestimmung des Eingangs geschaffene
Gemeinschaftlichkeit der politischen Interessen wahrzunehmen hat, nichts
geschehen. Natürlich kann eine einfache Grenzregulierung, bei der sich der
Gebietsaustausch auf Flächen beschränkt, die im Verhältnis zu dem Gesamt-
umfang der beteiligten Staaten ganz unbedeutend sind, nicht als wesent-
liche Machtverschiebung im Sinne der vorstehenden Ausführungen angesehen
werden (vgl. Art. 1 VI). Der Austritt eines Einzelstaats aus dem Reiche
und die Aufnahme eines ausländischen Staats als andres Mitglied des
Reichs würde die Bestimmungen der Art. 1 und 6 R.V. berühren und
deshalb nur unter den Bedingungen zulässig sein, die nach Art. 78 R.V.
für ein verfassungänderndes Reichsgesetz gegeben sind.
Das Endergebnis ist somit dahin festzustellen, daß als unmittelbare
Folge aus der Aufzählung der Bundesglieder, die der Eingang der R.V.
in Verbindung mit dem Eingang der Verfassung des Norddeutschen Bundes
enthält, sich nur die Tatsache ergibt, daß die Existenz der Einzelstaaten
für immer sichergestellt ist und in dieser Beziehung eine Majorisierung,