Full text: Die Verfassung des Deutschen Reichs mit Erläuterungen.

III. Bundesrat. Art. 7. 245 
möchte; natürlich ist dabei vorausgesetzt, daß es sich um Fragen handelt, 
die für das Wohl des Staates von fundamentaler Bedeutung find, und 
die Ausführungen des Fürsten Bismarck über die Extrahierung der Auflösung 
des Reichstags durch das Präsidium können nur dahin verstanden werden, 
daß die preußische Regierung im Bundesrat einen Antrag auf Auflösung 
des Reichstages stellt, wenn sie mit Rücksicht auf die Bedeutung der 
schwebenden Frage glaubt, anders ihrer Verantwortung vor dem Lande nicht 
gerecht werden zu können; weiter als bis zur Stellung eines Antrages auf 
Auflösung reicht die Machtvollkommenheit der preußischen Regierung gemäß 
Art. 24 R. V. nicht. 
Die Verantwortung einer Landesregierung kann auch dadurch begründet 
werden, daß sie es unterläßt, ihre Bundesratsbevollmächtigten zu instruieren 
oder sich überhaupt im Bundesrat vertreten zu lassen. Nach Art. 7 hat 
diese Unterlassung zur Folge, daß die Stimme der Regierung nicht gezählt 
wird. Damit geht dem Staate sein legitimer Einfluß auf die schwebende 
Frage verloren, und es ist denkbar, daß dies der Regierung zum Vorwurf 
angerechnet wird. Dagegen besteht keineswegs dem Reiche gegenüber eine 
allgemeine Pflicht für die Landesregierungen, sich in jeder Angelegenheit 
vertreten zu lassen. Dies geht aus Art. 7 indirekt hervor, weil dort die 
Folge dieser Unterlassung dahin bestimmt ist, daß nicht vertretene und nicht 
instruierte Stimmen nicht gezählt werden. Die Reichsverfassung rechnet 
also damit, daß Stimmen nicht vertreten und nicht instruiert sind und be- 
schränkt den hieraus dem betreffenden Staate erwachsenden Nachteil bahin, 
daß seine Stimme nicht gezählt, also weder den Antragstellern noch ihren 
Gegnern zugerechnet wird. Da eine Beschlußfähigkeitsziffer für den Bundes- 
rat nicht vorgeschrieben ist, wird der Geschäftsgang des Bundesrats durch 
die Fernhaltung des einen oder anderen Staates nicht unmittelbar berührt. 
Mit extremen Fällen, daß etwa die Mehrzahl oder gar sämtliche Staaten 
sich von dem Bundesrat zurückziehen, braucht nicht gerechnet zu werden; 
fie liegen außerhalb des Bereichs der praktischen Möglichkeit. Fürst Bis- 
marck hat bei der Beratung des zwischen Preußen und Waldeck geschlosfenen 
Accessionsvertrages in der Sitzung des preuß. Abgeordnetenhauses v. 11. Dez. 
1867 anerkannt, daß unter besonderen Verhältnifsen ein Staat seine Stimme 
im Bundesrat sogar gänzlich ruhen lassen könne; er erklärte damals 
St. B. 341b, daß Waldeck die Stimme ruhen lasse, stehen jeden Tag im 
Belieben des Fürsten, aber einen bindenden Vertrag darüber abzuschließen 
würde allerdings nichtig sein. Die meisten Schriftsteller haben sich dafür 
erklärt, daß kein Staat dem Reiche gegenüber verpfllichtet sei, sich im 
Bundesrate vertreten zu lassen — so u. a. Laband 1 S. 219f., Meyer 9 123 
A. 8 S. 431, v. Seydel S. 135, Arndt S. 93. — Die entgegengesetzte An- 
sicht vertritt Zorn 1 S. 157. 
Im übrigen ist zu berücksichtigen, daß die Instruierung der Bundes- 
ratsmitglieder für die Einzelstaaten kein Akt der Gesetzgebung, sondern ein 
Akt der Verwaltung ist. Für Akte der Verwaltung sind die Minister zwar 
der Krone unbeschränkt und unbedingt, also auch für die Zweckmäßigkeit des 
Akts verantwortlich, weil die Minister nach dem Verfassungsrecht der Einzel- 
staaten in ihren Verwaltungsgeschäften als Mandatare des Monarchen an- 
znsehen find. Gerade darum aber, weil die Verwaltung eine ausschließliche 
Prärogative des Monarchen ist, reicht dem Landtage gegenüber die juristische
	        
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