Full text: Die Verfassung des Deutschen Reichs mit Erläuterungen.

IV. Präsidium. Art. 11. 273 
Art. 56: „Wenn der König minderjährig oder sonst dauernd verhindert 
ist, selbst zu regieren, so übernimmt derjenige volljährige Agnat 
(Art. 53), welcher der Krone am nächsten steht, die Regentschaft. 
Er hat sofort die Kammern zu berufen, die in vereinigter 
Sitzung über die Notwendigkeit der Regentschaft beschließen.“ 
Art. 57: „Ist kein volljähriger Agnat vorhanden und nicht bereits vorher 
gesetzliche Fürsorge für diesen Fall getroffen, so hat das Staats- 
ministerium die Kammern zu berufen, welche in vereinigter 
Sitzung einen Regenten erwählen. Bis zum Antritt der 
Regentschaft von Seiten desselben führt das Staatsministerium 
die Regierung.“ 
Art. 58: „Der Regent übt die dem Könige zustehende Gewalt in dessen 
Namen aus. Derselbe schwört nach Einrichtung der Regent- 
schaft vor den vereinigten Kammern einen Eid, die Verfassung 
des Königsreichs fest und unverbrüchlich zu halten und in 
übereinstimmung mit derselben und den Gesetzen zu regieren. 
Bis zu dieser Eidesleistung bleibt in jedem Falle das 
bestehende gesamte Staatsministerium für alle Regierungs- 
handlungen verantwortlich.“ 
Die meisten Schriftsteller des Staatsrechts find darüber einig, daß, wenn 
in Preußen eine Regentschaft eintritt, sie auch für das Reich wirkt, dergestalt, 
daß der Regent von Preußen die Rechte des Deutschen Kaisers ausübt; so 
Laband 1 S. 200 ff., v. Seydel S. 155 f., Arndt S. 85 ff.; anderer Ansicht 
ist v. Rönne 1 225f. Die herrschende Ansicht ist richtig. Sie kann zwar 
nicht auf die Bestimmungen der preuß. Verfassungsurkunde über die Regent- 
schaft direkt gestützt werden, weil die preußische Verfassung keine unmittelbar 
bindende Kraft für die anderen Mitglieder des Bundes hat, aber die Aus- 
legung der Reichsverfassung in dem Sinne, daß fie insoweit die Bestimmungen 
der preuß. Verfassungsurkunde mitumfaßt, ist eine politische Notwendigkeit, 
da anderenfalls ein Vakuum entstände, das im gegebenen Falle die Grund- 
lagen der Reichsverfassung in Frage stellen würde. Man braucht sich auch 
nicht nur auf diesen Opportunitätsgrund zu stützen. Da die Reichsverfassung 
für den Fall, daß in Preußen nicht der König, sondern ein Regent die 
Staatsgeschäfte leitet, keine besondere Bestimmung trifft, so ist der Schluß 
gerechtfertigt, daß man die Bestimmungen der preuß. Verfassungsurkunde 
auch für das Reich anerkennen wollte. Aus dem Wortlaut der Verfassung 
des Norddeutschen Bundes konnte dies, wie v. Seydel S. 154 mit Recht 
hervorhebt, sogar unmittelbar entnommen werden, weil dort die entsprechende 
Vorschrift des Art. 11 lautete: „das Präsidium des Bundes steht der 
Krone Preußen zu.“ Zweifellos fällt unter den gewissermaßen abstrakten, 
nur auf den Träger der höchsten Staatsgewalt zugespitzten Begriff der 
„Krone Preußen“ auch der Regent. Wie unter All S. 269 f. dargelegt, sollte 
die neue Fassung des Art. 11 in diesem Punkte keine Anderung des Sinnes 
bedeuten, und man kann deshalb den Wortlaut der Verfassung des Nord- 
deutschen Bundes auch jetzt noch zum Beweise der hier vertretenen Ansicht 
anführen. v. Rönne! S. 225 ist der Meinung, daß es unzulässig sei, die 
beiden Häuser des preußischen Landtags zur Entscheidung über die Not- 
wendigkeit der Regentschaft für das Deutsche Reich zu berufen, und wenn 
kein volljähriger Agnat vorhanden ist, den Regenten durch die beiden Häuser 
Dambitsch, Deutsche Reichsverfassung. 18
	        
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